Full text: Betrachtungen über Frankreich

Rapitel 2 
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politijdhe Ummwälzung nur ein Faktor zweiten Ranges in dem großen 
Plane ift, der fih mit [Hredensvoller Majeftät vor uns enthüllt. 
Sch fagte zu Anfang, Frankreich fer die Lehrmeijterin des 
übrigen Europas. Die Vorfehung, die die Mittel {tet3 dem Zwed 
anpaßt und Völkern wie Einzelmenfchen die Organe verleiht, die fie 
zur Erfüllung ihrer Beftimmung brauchen, hat juft dem franzöfi[cdhen 
Volke zwei Werkzeuge gegeben, fozufjagen zivei Arme, mit denen es 
die Welt bewegt: feine Spradhe und feine Werbekraft, die feine 
Wefensart bilden; es hat fjomit {tet das Bedlirfnis und die Macht, 
die Menfchen zu beeinflufjen. 
Die Macht, ich möchte faft fagen die AlNeinherr{Mhaft, der franzö- 
fifhen Sprache ijt offenkundig: man kann hHöcdhftens tun, als ob man 
baran ziweifelte. Die Werbekraft aber zeigt fich offenkundig, von der 
Modenhändlerin bis zum Philojophen; hier prägt fih der National- 
dHarakter aus. Diefe Neigung zur Propaganda gilt meift für lächerlich 
und verdient diefen Namen tatfächlich Häufig, befonders was die 
Sorm betrifft; im Orunde jedoch ift fie ein Amt. Nun aber it es 
ein eivigeS Weltgefeb, daß jedes Amt eine Pflicht nach fidhy zieht. Die 
gallifanijhe Kirche war ein Ecjtein des Katholizismus oder, heffer 
gefagt, des Chriftentums, denn eS gibt tatfächliH nur eine 
Chriftenheit. Die der WeltkirchHe feindlihen Kirchen beftehen nur 
durch fie, vielleicht ohne es zu ahnen, wie jene Schmarogerpflanzen 
und unfruchtbaren Mifteln, die von Mark des Baumes Leben, auf 
dem fie wacdhlen und den fie ausbeuten. 
Da nun im Kampf feindlidher Mächte die Segenwirkung der 
Wirkung {tet gleich ift, {fo kommt es, daß die „Oöttin Vernunft“ 
ihre größten Anftrengungen gegen das Chriftentum in Frankreich 
gemacht hat: der Feind griff die Hochburg an. Der franzöfijche Klerus 
darf alfo nicht einfhlafen; er hat taufend Gründe, zu. glauben, daß 
er zu etwas. ®rokem berufen ijt, und die gleidhen Umftände, die ihn 
erkennen laffen, warum er gelitten hat, geftatten ihm auch zu glauben, 
daß er zu einem wefentlidhen Werke beftimmt ift. 
Mit einem Worte: findet in Europa fein moralijdher . Um- 
IOmwung ftatt;, erfährt der religiöfe Seift in diefem Erdteil keine 
Stärkung, fo zerreißen alle gefellfhaftlidhen Bande. Man vermag 
nichts zu erraten und muß doch auf alles gefaßt fein. Findet aber 
ein glüdlider Umfhwung in diefer Hinficht ftatt, fo ijft Frankreich 
berufen, ihn zu bewerkftelligen, oder es gibt keine Analogien, Feine 
Fnduktionsfhlüffe, keine Kunft der Mutmakung mehr. Serade 
deshalb denke ich, daß die franzöfijhe Revolution einen großen Ao- 
IOnitt bildet und daß ihre Folgen auf allen Gebieten weit über die 
Beit ihres Ausbrucdhes und die Grenzen ihres Brandherdes hinaus 
wirken werden. 
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