Full text: Betrachtungen über Frankreich

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Betradhtungen über Frankreic 
Wenn aber, wie man e8 den Königen fo oft vorgepredigt hat, 
die Macht der Regierung allein auf der Liebe des Volkes beruht, 
wenn die Furcht allein ein unzureichendes Mittel zur Erhaltung 
der Gerrfchaft ift, mas follen wir dann von der franzöfijdhen 
Republik halten? 
Tut die Augen auf, und ihr werdet fehen, daß fie nicht Le bt. 
Welch ungeheurer Apparat! Weldy Gewirr von TIriebfedern und 
Rädern! WelhH ein Lärm aneinanderftokender Teile! Welche 
Unzahl von Menfdhen, die die Schäden wieder ausfliden müjfen! 
Das alles zeigt an, daß fie eine feelenlofe Mafdhine ift; denn das 
Hauptmerkmal natüirlidher Schöpfungen i{ft die Macht bei fparfamer 
Berwendung der Mittel, Da alles am rechten Fled ift, gibt e8 
feine Stöße und Schwankungen. ANe Reibungen vollziehen fich 
glatt, ohne Lärm, und diefe Stille ift erhaben! So erfdheint in der 
mechani[Hen Phofit bei volfommener Abwägung, bei genauem 
Sleichgewicht und größter Symmetrie der Teile felbjt die Schnellig- 
feit der Bewegung dem bhefriedigten Blid als fHeinbare Ruhe. 
Sn Frankreich gibt e8 alfo Feine Herr{haft. Alles ift Fünjtlich, 
gemwaltfjam; alle8 verkündet, daß diefe Ordnung der Dinge nicht 
von Dauer fein kann. 
Die zeitgenöffifhe Philofophie ift zu materiell und zugleich zu 
dünkelhaft, um die wahren Triebfedern des politijhen Lebens zu 
erfennen. Cine ihrer Narrheiten i{jt der Glaube, eine Verfamm- 
lung fönne einer Nation eine Verfajfung geben; eine Verfafjjung, 
d. h. die Gefamtheit der Grundgefege, die einem Volk angemefjen 
jind und ihm die und die Regierungsform geben müffen, fei ein 
Werk wie jede3 andere; daz Handwerk des Verfajjunggebens Kießc 
üch lernen, und Menfjhen Könnten eines Tages, wenn ihnen das 
einfällt, zu anderen Menjdhen fagen: „Macht uns eine Regierung“, 
wie man zu einem Handwerker jagt: „Mach uns eine Keuerfpriße 
oder einen Stidrahmen.” 
Trogdem lautet eine Wahrheit, die in ihrer Weije eben[o gewiß 
it wie ein mathematijcdher Lehrjag, daß keine große Einrichtung das 
Ergebnis einer Bejhlukfajfung ift und daß die menfchlidhen Werke 
um fo binfälliger find, je mehr Menfdhen fih daran beteiligen, je 
arößer der Apparat an Wiffenfhaft und Vernunftichlüffen it, den 
man a priori aufbietet. 
Eine gefchriebene Verfajjung von der. Art, wie fie heute in 
Frankreich herrfht, ft nur ein Mechanismus mit den Scheinformen 
de8 Lebens. Auf fichH felbft geftellt, ijt der Menfch hHöchftenz ein 
Vaucanfon#®); um ein Prometheus zu fein, muß er himmelan fteigen; 
45) grangöfilcher Mechaniker (1709—80), der Automaten verfertigte. — 
DD. Über].
	        
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