exegetischen Arbeiten geliefert. Die Lutheraner muhten dagegen
vor allem ihr G l a u b e n s Prinzip erklären, begründen und ent
wickeln ; wodurch, von Melanchthvn's Loci (1522) an, in ununter
brochener Reihe die fleißigsten Bearbeitungen der Glaube n s-
lehre (die vielen Dogmatiken) veranlaßt wurden. Außerdem schien
es aber, als wenn die einseitige Hervorhebung der Lehre von der
Rechtfertigung und das steife Festhalten an dem Buchstaben Luthers
im Gegensatz gegen Melanchthons mildere unb gründlichere Wissen
schaftlichkeit jede freie Ausbildung der Theologie hemmen und diese
vielmehr in den Fesseln einer toten, trocknen und am Buchstaben
der Orthodoxie festhaltenden Scholastik erstarren würde. , Denn so
wie die Exegese lange Zeit völlig im Dienst der Dogmatik blieb,
so erschien die Moral nur als dürftiger Anhang der Dogmatik,
rmd der Versuch Calixt's, sie von derselben zu trennen und zu
einer selbständigen Wissenschaft zu erheben, fand anfangs den hef
tigsten, gehässigsten Widerstand, während in der reformierten Kirche
schon längst die Moral nicht nur von der Dogmatik getrennt wor
den war, sondern auch gründlich und, was das wichtigste war,
nicht als „theologische", sondern als „biblische Maral," weniger
gelehrt als praktisch-christlich bearbeitet wurde und großen, u n-
mittelbar eingreifenden Einfluß auf die christliche Sitte er
hielt. Dagegen herrschte neben der Dogmatik in der lutherischen
Kirche die Polemik so bedeutend vor, daß sie alle andern
Wissenschaften nicht nur zu beherrschen, sondern auch zu verschlin
gen drohte. Natürlich, denn die bedrängten Lutheraner mußten
sich gegen zwei Feinde, die von verschiedene n (Seiten her
andrangen, verteidigen; gegen die katholische Kirche, weil sie s o
viel reformiert hatten; gegen die reformierte, weil sie nicht
genug reformiert hatten, während die Reformierten ihre b e i-
d e n Gegner auf derselben Seite hatten und sich um die ans
der andern Seite befindlichen Sekten weniger kümmerten.
So erhielt denn in der lutherischen Kirche alles einen dogmati-
schen und noch mehr einen polemischen Charakter. Auch die Kirchen-
und Dogmengeschichte wurde weniger zur innern Ausbildung des
christlichen und kirchlichen Lebens benutzt (was Arnold, Speners
Schüler, später versuchte, die Reformierten stets beabsichtigten) als
zur Rechtfertigung der einmal eingenommenen Stellung und blieb,
als dieser Zweck erreicht war, beinahe gänzlich unangebaut. Auf
den Kanzeln wurden fast nur polemische oder wenigstens dog-
matisierende Kontrovcrspredigten gehalten, wozu auch die Behör
den oft no4 ausdrücklich aufforderten.
Je langsamer aber in der lutherischen Kirche die einzelnen
theologischen Disziplinen als besondere, selbständige Wissenschaften
hervortraten, desto gründlicher und zusammenhängender konnten sic
bearbeitet werden, was der lutherischen Theologie die für jedes
Gedeihen der Wissenschaft so notwendige Bedingung einer inner
lichen Vollständigkeit nnb eines stetigen Fortschreitens
sicherte, während die reformierte Theologie, welche einen Fortschritt
der theologischen und kirchlichen Wissenschaft nicht anerkennt, zwar
eine Menge trefflicher Leistungen aufzuweisen hat, die aber alle