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lehre kirchlich, dogmaWh und biblisch verteidigte, d. h. mit
Berufung auf die Uebereinstimmung mit der ganzen Kirche und
auf die beiden Hülfslehren von der Mitteilung der Eigenschaften
der beiden Naturen Christi und von der Allgegenwart des Leibes
Christi und auf den nicht weiter entwickelten und begründeten Buch
staben der Bibel: „das ist;" wogegen er die jedenfalls bedeutsame
Stelle im Evangelium Joh. Cap. 6 nicht berücksichtigte. Die Re
formierten haben dagegen mit durchgreifender Konsequenz die ka
tholische Wendmahlslehre in jede r Beziehung g ä n z l i ch unb
völlig fahren lassen und von neuem ans den Einsetzungsworten
(1. Cor. 11 und Joh. 6) eine rein biblische zu begründen ge
sucht, weshalb sie auch, ohne ihr ursprüngliches Verfahren ver
leugnen zu müssen, von da aus immer weiter, ja sogar bis zur
lutherischen Abendmahlslehre kommen können.
Ungeachtet der seit 1524 ausgebrochene Streit schnell große
Bitterkeit erregt hatte, boten dennoch die (reformierten) Städte
Süddeutschlands unb der Schweiz unaufhörlich die Hand — wenn
nicht zu völliger Gemeinschaft und Einheit — doch zu gegenseitiger
Anerkennung als christliche Brüder und zu gemeinsamer Wirksamkeit
für das Evangelium. Luther und seine Freunde und die luther
ischen Fürsten hielten allen Ernstes auch jede äußere Verbin-
dung mit den Schweizern z>l gemeinsamen politischen Zwecken für
Sünde, welche ihre reine, heilige Sache beflecke. Auch hierin ist
ihr hoher Glaubensmut und ihr felsenfestes Vertrauen auf den
allmächtigen Gott anzuerkennen, indem sie sich lieber vom Kaiser
unterdrücken lassen wollten, als sich unter dem Vorwand des
Evangeliums mit solchen verbinden, welche ihrer Meinung nach das
Evangelium verfälscht hatten. Luther wies daher schon 1525 den
Unionsversuch der Straßburger aufs entschiedenste als eine Unmög
lichkeit ab, und als die (protestantischen) Stände 1529 zu Speyer
gegen den Reichstag-Abschied, welcher die Ausbreitung des Evan
geliums hemmen sollte, förmlich Protestierten, billigte Luther den
noch die in demselben Abschied enthaltene, ausdrückliche Verdam
mung der Sakramentierer, gegen welche jedoch auf Melanchthons
ernstliche Vorstellung auch Protest eingelegt wurde. In der Augs
burgischen Konfession ward ausdrücklich die Gegcnlehrc vom Abend
mahl verworfen, und 1531 triumphierte Luther über Zwinglis lind
Oekolampads Tod und der Schweizer Unglück, indem er dieses
als ein von Gott über sic verhängtes Strafgericht ansah. In sol
chem Betragen müssen wir allerdings einen, vielleicht auf echt
christlichem Boden entstandenen, aber dennoch unchristlichcn, mensch
lichen Eifer erblicken und werden es mit Freuden vernehmen und
gern glauben, daß Luther kurz vor seinem Tod zu Melanchthon
gesagt haben soll: „lieber Magister Philipp, wir haben in der
Sache wohl zu viel getan," womit Luther jedoch gewiß nicht die
W a h r h e i t seiner L e h r e und auch das Recht und die Pflicht,
sondern höchstens nur die Art und Weise der Verteidigung ge-
meint hat. Nach Luthers Tod finden wir nun in der erstarrten
lutherischen Kirche die größte Heftigkeit in der Verteidigung unb
im Angriff, und die Reformierten ließen sich durch ihre Gegner zu