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den waren, die, von Italien ausgegangen, sich auch hier Anhang
verschafft hatten. Wir denken vielmehr „an die alte Opposition
gegen die römische Kirche," „an die uralte Stimmung gegen den
römischen Gottesdienst, die Verehrung der Bilder und Reliquien,"
die neben echt christlichem Sinn jene südlichen und westlichen Völ
ker beseelte und schon lange vor der Reformation jener Menge
von Ketzern und Schwärmern unter ihnen stets Nahrung gegeben
hatte. Bayern, Schwaben, die Schweiz und die Länder am Rhein
bis zu den Niederlanden waren längst angesteckt von mancherlei
ketzerischen Ideen und unkirchlichen Sekten besonders durch Han
delsverbindungen mit Italien und Frankreich, wo die Waldenser,
welche von allen reformierten Kirchen als würdige Vorläufer und
Muster betrachtet worden, seit Jahrhunderten ihren einfach bibli
schen und christlichen Sinn bewahrt und verbreitet hatten. Dieser
unkirchliche Sinn äußerte sich in den allerbeißendsten Sprichwörtern,
die lange Zeit vor der Reformation in vieler Mund waren?)
Des Erasmus Spottschriften gegen die römische Kirche und die
römische Geistlichkeit wurden mit außerordentlichem Beifall auf
genommen und bestärkten lange vor dem Auftreten Luthers viele
in ihrem geheimen Widerwillen gegen die römische Kirche und
weckten die Sehnsucht nach Befreiung von dem päpstlichen Joche
geistlicher Knechtschaft. Daher war schon vor Luther „Abschaffung
des Papsttums" und „Reinigung des Christentums" das Losungs
wort vieler, die dabei an eine neue und kräftige Erbauung der
christlichen Kirche nicht dachten.
In Luther, dem gehorsamen und still duldenden Mönche, hatte
sich die demütige Frömmigkeit des deutschen Volkes gewissermaßen
konzentriert, und grade daß er sich zur Reformation fast zwingen
ließ und dabei immer an der unsichtbaren allgemeinen christlichen
Kirche unerschütterlich festhielt, das erweckte in ganz Deutschland
und weit über Deutschlands Grenzen hinaus jene ungeheuere Be
geisterung für den demütigen und doch so kühnen Mönch, machte
ihn zum alleinigen Mittelpunkt des größten Teils dieser großar
tigen Bewegung und erwarb der lutherischen Kirche seinen Namen,
auf den sie stolz sein zu dürfen glaubte. Aber obgleich er getragen
und gehoben wurde von dem freudigen Beifall seines lieben deut
schen Volkes, dessen Gemüter er mit fast unwiderstehlicher Gewalt
allein durch die Kraft des Wortes beherrschte, kam ihm doch nie
ein Gedanke daran, diese Gewalt äußerlich zu mißbrauchen; son
dern, im schönsten Sinne des Wortes, Untertan aller weltlichen
und geistlichen Obrigkeit, unterwarf er sich in schlichter Einfalt in
allen bürgerlichen Dingen dem Kaiser und seinem Fürsten, ohne
aus die vielfachen Aufforderungen zu hören, die die Kirchenver-
befferung bedrohende und hemmende Macht des weltlichen Armes
mit Gewalt zu hindern und anzugreifen. Ebenso treu hielt er
l ) Dergleichen schweizerische Sprichwörter sind: „Wer ein guter Christ sein
will, soll nicht nach Rom gehen. Wer nach Rom geht, lasse die Frömmigkeit zu
Haus. Wer nach Rom geht, sucht das erste Mal einen Schelmen; das zweite
findet er denselben, und das dritte bringt er ihn heim. In Rom kann man
mit dem Zipscl seiner Mütze in der Hölle graben. Zu Rom findet man alles,
nur keine Frömmigkeit."