Das Reformationsprinzip,
Wer sieht nicht ein, daß auf so sehr verschiedenem Boden und
unter so sehr verschiedenen Verhältnissen die beiden Reformationen
und Kirchen, auch wenn sie von gleichgearteten Männern, von ganz
gleichen Prinzipien aus und nach demselben Verfahren stattgefun
den hätten, notwendigerweise außerordentlich verschieden werden
mußten? Wie vielmehr aber noch, da alle jene unmittelbar mit
wirkenden Ursachen selbst wieder höchst verschieden waren!
Wir müssen hier vor allem auf Luther und Zwingli einen
Blick werfen, die wir als die Träger der großen Bewegungen und
die Repräsentanten der beiden Richtungen ansehen können, weil
Luther als Reforinator immer allein und selbstständig
handelte, ja sogar das Carlstadtische Element (der wie Mclan-
chthon ein Süddeutscher war und sich eben so wenig wie dieser,
unter den Sachsen jemals recht heimisch fühlte) ausgestoßen hat,
wie seine spätern eifrigen Anhänger das Melanchthonische Element.
Zwingli aber steht unter vielen ihm gleichgesinnten oder ihni fast
unbedingt folgenden Freunden als der vornehmste Repräsentant der
allgemein verbreiteten, aber auch sehr zerteilten reformatorischen
Bewegung da, deren alleiniges Haupt er jedoch nie war. Man hat
Luther und Zwingli oft miteinander verglichen, und es ist fast
zur Mode geworden, aus ihrer Verschiedenheit die verschiedene Re
formation abzuleiten. Auf jeden Fall würde man hierin nur dann
recht haben, wenn man Luther und Zwingli als die Reprä
sentanten ihres Volkes und der unter ihnen herrschen
den Gesinnung betrachtete, und das kann man allerdings mit
großem Recht. Nur ist mit der gewöhnlichen und an sich richti
gen Bemerkung, daß Luther ein Gemütsmensch und Zwingli ein
Verstandesmensch war, wenig gesagt, und noch weniger erklärt,
wenn man nicht zugleich nachweist, wie diese Verschie
denheit ihre verschiedene Stellung z u r Re
form a t i o n und z u in Christentum selbst be
dingt hat. Beide haben in ihrer Persönlichkeit vieles mit
einander gemein. Die Kraft, den Ernst, den Mut, die Gediegen
heit und Entschlossenheit, die aufrichtige, herzliche Frömmigkeit,
das Leben im Glauben an Christum müssen wir an beiden be
wundern. Zwingli erfaßt alle ihm vorkommenden Erscheinungen
vorzugsweise und zuerst immer mit seinem Verstände, der bei
ihm, seiner Klarheit, Festigkeit und Kraft wegen, bedeutend vor
herrscht vor den andern Seelentätigkeiten und von seinem Gemüt
oft getrennt erscheint. Luther dagegen erfaßt alle Wahrheit z u-
e r st mit seinem tiefen Gemüt und sucht dann erst die erfaßte
Wahrheit seinem Verstände klar zu machen. Sein Verstand
machte Zwingli nicht kalt, aber ruhig, besonnen und sicher und