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nicht, mir Schuld zu geben, ich wolle allein ob der heiligen
Schrift halten. Ich will die Schrift haben aufs allerbeständigste
und zum ersten, darnach alles Andere nehmen und lassen, was
mich die Schrift lehret, es hab geschrieben, wer da will; ich will
keinen Meister haben, denn nur einen, der heißet Christus im
Himmel, wie er uns allen geboten hat; alle andern will ich für
Mitschüler halten." Melanchthon spricht zu gleicher Zeit dieses
Schriftprinzip höchst vorsichtig und auch nur negativ aus:
„Ich glaube nicht, daß es unrecht ist, daß man die Ansichten der
heiligen Väter, wenn sie, wie oft der Fall ist, untereinander ver
schieden sind, dem Urteil der heiligen Schrift unterwirft, und,
wenn ihre Meinungen verschieden sind, der heiligen Schrift keine
Gewalt geschieht." Selbst in der heftigen Gegenschrift gegen König
Heinrich VIII., wo Luther ausdrücklich das Schriftprinzip gegen
ihn geltend macht, braucht er es doch immer nur negativ re
gulierend: „weil ich all mein Schreiben und Lehren darauf stelle,
daß nichts sei zu lehren und zu halten, was nicht klar
in der Schrift stehe, darum Menschen-Lehre oder Zusätze nichts
oder frei und unnötig seien, strebet mein König Heinze darnach,
daß er solche Zusätze nötig mache und nicht frei lasse."
Ueber die Geltung dieses Schriftprinzipes
selbst ist aber niemals mit den Papisten gestritten und ver
handelt worden, sondern immer über einzelne Glaubenslehren,
die man aus der Schrift und nach ihr verteidigte oder angriff.
Immer aber scheiterten die Friedensverhandlungen, nicht an dem
verschiedenen Gebrauch, den man mit der heiligen Schrift machte
— denn in diesem war man einig — sondern nur an der Unei
nigkeit über diese oder jene einzelne Lehre und ganz besonders
immer an dem Artikel von der Rechtfertigung.
An diesen Maßstab der heiligen Schrift hielt nun Luther
alles in der katholischen Kirche Bestehende, aber keineswegs um
alles nicht in derselben Enthaltene zu verwerfe n,
sondern nur um nichts in derselben Verworfe n e s gu
behalten. Darum war Luther anfangs (Ende 1519) gegen
so viele Mißbräuche sehr gleichgültig. Zwar wünschte er, daß ein
allgemeines Konzil das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ge
statte, nicht (wie Zwingli, wegen des Gebotes der heiligen Schrift:
trinket alle daraus) „darum daß eine Gestalt nicht genug sei . . .
sondern daß es ziemlich nnd fein wäre, so des Sakraments Gestalt
uni) Form oder Zeichen nicht stücklich eines Teils, sondern ganz
gegeben würde". Ende 1520 nannte er es schon: „gottlos, die
Kommunion unter beiderlei Gestalt dem Volke zu entziehen;" sieben
Sakramente gesteht er noch zu, „w e n n n u r nicht aus de r
Schrift bewiesen werden solle, daß ihrer gerade
sieben, nicht mehr und nicht weniger, sein müßten, weil das un
möglich wäre." Endlich, zwei Monate später, fordert er nicht mehr
ein Konzil, sondern die einzelnen Bischöfe auf, die Kommu
nion unter beider Gestalt einzuführen, oder er ermahnt die ein
zelnen Laien, sie halb g e i st l i ch zu genießen, „denn wer
nicht wenigstens beiderlei Gestalt begehrt, der ist kein Christ."