Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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Höchst wichtig und interessant ist nun, die Art und Weise 
zu beobachten, wie Luther sich im Streite mit dem reformierten 
Schriftprinzip benimmt, und was er da zur Verteidigung seiner 
Airsichten geltend macht. Ehe wir dies näher untersuchen, müssen 
wir vorher die reformierte Kirche auf ihrem eigenen Gebiete auf 
suchen und zusehen, ob wir bei ihr dasselbe oder ein anderes Re 
formationsprinzip finden? Wir müssen zunächst durchaus leugnen, 
daß sie dasselbe positive, materiale Glaubens 
prinzip zur Aeformation trieb. 
Wir finden bei Zwingli und bei den Reformierten (auch 
eigentlich nicht einmal bei Calvin) durchaus keine Voranstellung 
irgend eines einzelnen Glaubensartikels und auch nicht 
der Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben; 
sie hatten ein solches materiales Reformationsprinzip 
durchaus gar nicht. Ja, die Reformierten haben sogar jene Lehre, 
das Kleinod Luthers und der ganzen lutherischen Kirche, niemals 
in dieser lutherischen Form angenommen; viele haben sich sogar 
„an der Rechtfertigung a l l e i u durch den Glauben, da dieses 
ja nicht ausdrücklich in der Schrift stehe", sehr gestoßen und haben 
sich, um dieselbe Sache auszudrücken, anderer Worte bedient, 
z. B. nicht Rechtfertigung (iustificatio), sondern Gerechtigkeit (iustitia) 
gesagt und dann auch wieder nicht: Rechtfertigung durch den Glau 
ben, sondern Glauben an Christum (croire en Jesus Christ), Glau 
ben an das Heil in Christo; allein der Glaube an Jesum Christum 
durch die Gnade und Erbarmung des Vaters macht uns selig. 
Das auf dem Reichstage zu Augsburg von den vier reformierten 
Städten übergebene Bekenntnis sagt (Cap. 3): „Wir verdanken 
die Rechtfertigung ganz und gar der göttlichen Gnade und dem 
Verdienste Christi und ergreifen sie blos durch den Glauben"; 
und: „Wir schenken dem verkündigten Evangelium Glauben durch 
den Geist von oben, von dessen Wahrheit überzeugt, und rufen 
dann im Vertrauen auf das Zeugnis dieses Geistes mit kindlicher 
Zuversicht Gott an und sprechen: Abba, lieber Vater, u n b e r- 
langen dadurch gewisses Heil nach dem Wort: „Wer 
den Namen des Herrn anruft, der soll selig werden." Und die 
Baseler Konfession von 1534: „Der Glaube, der sich durch die 
Werke der Liebe bewährt, erntet die Vergebung der Sündenein," 
und Oekolampad hat selbst eingestanden: „den Hauptgrundsatz der 
christlichen Lehre von der Erlösung durch Christum hat man den 
Belehrungen Luthers gu verdanken." Zwingli spricht, zwar einig 
mit Luther, aber doch in höchst verschiedenen Ausdrücken, den 
Zweck seines Wirkens sehr schön folgendermaßen aus: „Denn alle 
meine Arbeit, die ich mit rastlosem Eifer tue, hat keinen andern 
Zweck als allen Menschen zu zeigen die große Gnade und das 
Heil, welches der von der Jungfrau Maria geborene Sohn Gottes 
uns erworben hat, danüt man allein gu Gott seine Zuflucht 
nehme durch das teure heilige Leiden Christi, damit seine 
Lehre hervorgezogen und die Menschenlehre hintangesetzt werde, 
damit Gottes Wort rein und unvermischt bleibe." 
Wenn also nicht diese einzelne Lehre und deren Verkennung
	        
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