Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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das jetzt so viel besprochene System des Zuste-miiieu. Es läßt 
sich nicht verkennen, daß den deutschen Reformatoren wegen der 
doppelten Rücksicht, die sie teils auf die heilige Schrift, teils 
auf den gegenwärtigen Zustand der Kirche nehmen mußten, ihre 
Arbeit außerordentlich schwierig, das Gedeihen oft sehr ungewiß 
und die Freude oft sehr getrübt werden mußte, wovon wir bei 
den Reformierten keine Spur finden, weil diese, mit klar bewuß 
tem Verstände die Reformation unternehmend, einen festen Aus 
gangspunkt und einen sichern und hinreichenden Maßstab für ihr 
Verfahren hatten, weil sie ihr Ziel, die möglichst vollständige 
Wiederherstellung der reinen, biblischen Kirche immer unverrückt im 
Auge behielten, welches ihnen daher, wie dem voranschreitcndeu 
Wanderer, stets näher und deutlicher wurde, wogegen sie die hin 
ter ihnen liegende katholische Kirche von Anfang an rücksichtslos 
fahren ließen. Zwingli, Oekolampad, Haller, Farel, Calvin, Knox 
starben entweder voll inniger Freude über das schöne Gedeihen 
ihres Werkes, das auf einen sicheren Boden gegründet war, oder 
nachdem sie schon die herrlichsten Früchte desselben gekostet hatten; 
während Luther und Melanchthon je länger je weniger mit dem 
innern Gedeihen der Reformation zufrieden waren, so daß Luther 
(der besonders in seinem Wittenberg keine erfreulichen Früchte 
sah, „sondern in diesem Sodoma mit dem unordigen Wesen ge 
martert wurde") immer unmutiger, ja miWsch wurde, und zuletzt 
sich seine Glaubensfreudigkeit nur durch den Blick auf seinen 
Herrn im Himmel erhalten konnte; Melanchthon aber, von seineil 
eigenen Schülern gemeistert, verachtet, verketzert, mit tief beküm 
mertem Herzen lebensmüde entschlief. 
Luther beschwor zwar glücklich den ersten Sturm, den mitten 
auf dem Felde seiner Wirksamkeit das reformierte Prinzip in 
Carlstadt und in den Zwickauern ihm erregt hatte; dem zweiten, 
dem Bauernkrieg, von welchem auch Luther anfangs eine Reini 
gung der drückenden Lust erwartet hatte, mußte mit Feuer und 
Schwert Einhalt geschehen; aber es trat nicht viele Jahrzehnte 
nachher in Bezug auf den Fortgang der Reformation eine traurige 
Windstille ein, gefährlicher uub schrecklicher als der fürchterlichste 
Sturm. Luther aber ward von jener Zeit an mißtrauisch gegen 
jedes durchgreifende Reformieren; er war zufrieden, wenn nur 
dem seligmachenden Evangelium der Eingang in Herz und Land 
nicht verweigert wurde, änderte äußerlich an dem in der katholi 
schen Kirche Vorhandenen so wenig als möglich und verfuhr über 
haupt gegen dieselbe immer nur defensiv; offensiv nur 
gegen die Reformierten, während diese umgekehrt gegen ihn, dem 
sie immer die Friedenshand boten, immer nur die Defensive, 
gegen die katholische Kirche dagegen die entschiedenste Offen 
sive ergriffen. So stand Luther noch 20 Jahre lang an der 
Spitze der von ihm angeregten großartigen Bewegung, aber von 
1522 an mehr von ihr getragen und sie vor Verirrung bewahrend, 
als sie selbst mit sich fortreißend. Darum fiel es ihm auch nie 
ein, das Gebäude der katholischen Kirche, den Reformierten gleich, 
einzureihen rmd auf ihrem bleibenden Fundamente, auf dem Grunde
	        
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