Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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der heiligen Schrift, ein neues zu errichten, sondern er suchte 
immer nur, während er sogar gegen die andringenden Zerstörer 
fleißig mitstützte, die schadhaften Stellen durch neue festere Ver 
bindung mit dem sichern Fundamente allmählich auszu 
bessern und dann freudig himmelan weiter zu bauen. Darum griff 
er niemals die katholische Kirche als solche an, sondern nur „die 
Diebe und Mörder, welche sich in dieselbe eingeschlichen hatten." 
Zu einer gründlichen Sitten reformation nach festen ausgespro 
chenen Prinzipien kam es daher zu seiner Zeit, und später noch 
weniger, gar nicht. In Kultus und Verfassung ließ er alles, was 
nicht der Schrift widersprach, d. h. unschädliche Gebräuche, ruhig 
bestehen, revidierte nach seinem Glaubensgrundsatze — keineswegs 
nach der heiligen Schrift — die römische Messe und die andern 
Zeremonien, bildete dieselben anfangs nur unbedeutend, nachher 
etwas mehr, mit der schonendsten Hand zu einem evangelischen 
Gottesdienste um und ließ unbedenklich noch viele äußere unschrift 
mäßige Gebräuche stehen, nur mit der einzigen Bedingung, „daß 
sie die Gewissen nicht beschwerten, als seien sie nötige Gottes 
dienste." So kann es uns denn nicht mehr wundern, wenn wir, 
1529 zu Speier, 1530 auf dem Reichstage zu Augsburg, und 
auch später noch häufig sehen, wie sich die Lutheraner den Katho 
liken weit näher fühlten als den Reformierten, wie sie mit jenen 
sich immer zu vereinigen suchten, diese dagegen stets mit Heftig 
keit von sich stießen; ja, wie sie sogar mit den Katholiken gegen 
die Reformierten gemeinsame Sache machen konnten. „Die Luther 
aner glaubten' (1530), daß sie viel besser mit den Katholiken 
zurechtkommen würden, je auffallender sie sich von den sogenann 
ten Sakramentierern (den Reformierten) absonderten. Sie sahen 
es schon als ein halbes Mittel an, wodurch Die Katholiken ge 
wonnen werden könnten, wenn es ihnen nur gelänge, sie zu über 
zeugen, daß sie nichts mit diesen zu tun hätten. Höchstwahr 
scheinlich war dies ein Grund weiter, durch den sich der gute 
Melanchthon leichter dazu bringen ließ, die ausdrückliche 
Mißbilligung der Schweizerischen Meinung in den zehnten Artikel 
der Augsburgischen Konfession einzurücken: aber davon war auch 
er unerschütterlich fest überzeugt, daß jeder Umstand, aus welchem 
man eine Verbindung zwischen ihnen und den Schweizern ver 
muten könnte, ihre eigene Sache bei den Katholiken unendlich 
schlimmer machen würde." 
Daher konnte Melanchthon von echt lutherischem Standpunkte 
aus die so milde und leise auftretende Augsburgische Konfession 
abfassen, konnte zu gleicher Zeit dem Cardinallegat Campegius er 
klären, „daß sie keine von der römischen Kirche abweichenden 
Glaubensartikel hätten, ja selbst viele, welche verderbliche Lehr 
sätze ausstreuen wollten, niedergehalten hätten." „Wir sind bereit, 
der römischen Kirche zu gehorchen, wofern sie nur nach ihrer 
Mildigkeit, deren sie sich stets gegen alle Menschen befleißigt hat, 
einiges, was wir, wenn wir auch wollten, nicht mehr ändern kön 
nen, übersehen oder nachlassen wollte. Wir huldigen ehrerbietigst 
dem Ansehen des römischen Papstes und der ganzen Kirchenver
	        
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