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Waldenser) *), nie aber in lutherischen, zuerst der Glaube
und dann das Gesetz mit seinen einzeln e n Geboten als
von Gott selbst vorgeschriebene Aeußerung der Dankbarkeit
für die Gnade Gottes in Christo, oder als Grundlage und
Quelle der auf den Glauben gebauten christlichen Sittlichkeit,
auf deren Begründung und Vervollkommnung die reformierte Kirche
stets einen großen Teil ihrer Kraft verwandte, darum aber auch
stets vollständige Schriftmäßigkeit des ganzen Lebens unbedingt
forderte. So wendet sich also das göttliche Gesetz gerade an den
Glauben und den neuen Gehorsam des Bekehrten und nicht,
wie bei den Lutheranern, an das U n b e k e h r t e in ihm. Viel
mehr ist das (mosaische) Gesetz für den schon gläubig
Gewordenen nicht mehr Zuchtmeister auf Christum, nicht
mehr Bußprediger, sondern als solches für ihn abgeschafft; dem
Gerechten ist kein Gesetz gegeben. Aber es ist nun das Gesetz als
neues Gebot Christi, als Lehre Christ i, gerade für ihn
neu aufgerichtet und vervollständigt, indem das gläubige Kind
Gottes an diesem Gebot den Willen seines Vaters erkennt,
nach welchem es nun aus innerm Drange, aus Dankbarkeit und
Liebe, in kindlichem Sinne, durch den heiligen Geist, sein g a n-
z e s Leben, Denken und Tun genau einzurichten hat. Die
Pflicht, Gott allein gehorsam zu sein und seinem Worte allein
und unbedingt zu folgen, trieb alle reformierten Reformatoren zu
ihrem heiligen Werke als zu einein von Gott gebotenen und
ließ sie ohne alles Schwanken rücksichtslos gegen Papsttum und
weltliche Herrschaft durchgreifen, während auf der anderen Seite
Zwingli von demselben Grundsätze aus sich veranlaßt sah, im An
fang das (mosaische) Gesetz für den Gläubigen für ab
geschafft zu erklären, iiub Farel anfangs bis zu gänzlicher
Verwerfung jedes äußerlichen nicht christlichen Gebotes
ging („weil Christus alles in sich begreife"), während er fast zu
gleicher Zeit in Genf strenge, aber christliche Sittengesetze
gab. „Uns schreckt nicht," schreibt er, „das furchtbare Schauspiel auf
Sinai, daß wir keine fremden Götter suchen, sondern wir hören,
Gott habe uns eine solche Liebe erzeigt und aus Erbarmen seinen
eigenen und vielgeliebten Sohn gesandt, der uns auf das freund
lichste zu sich einladet und zu unserer Erleichterung und Se
ligkeit sich aufopfert." — „Die Liebe Christi dringt zur wahGn
Pietät. Durch s i e entflammt, wird der Vater im Geist und in
der Wahrheit verehrt, der Name Christi nicht unnütz gebraucht, m
Ruhe von der Arbeit Gott in der Kirche gelobt, der Nächste nach
dem Beispiel Christi geliebt rc., kurz die durch d e n h ei
lig e n G e i st in unsere Herzen ausgegossene
Liebe Gottes hört nie auf 3 ii wirken." Da
*) Schön sagt der Waldenser Katechismus: „der Glaube an Gott ivird
erkannt durch das Bewußtsein der Liebe zu seinen Geboten und durch freudigen
Gehorsam" und: „Grund der Hoffnung auf Christum ist Glaube und Buße." —
(Man achte auf diese dem Lutheraner ganz sonderbar klingende, bei dein Re-
formirten nicht seltene, der biblischen Praxis ganz angemessene Vorordnung des
Glaubens vor der Buße).