Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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eignen Kinder haben die reformierte Kirche oft ebenso schnöde 
und hart verworfen und sich nach irgend einem einseitig mit dem 
Verstände aufgefaßten und dann rücksichtslos durchgeführten Grund 
satz, ohne irgendwie Gehorsam und Treue, Rücksicht und Schonung 
gegen die Mutterkirche zu kennen, eigenmächtig getrennt und als 
selbständige Sekte konstituiert und immer gerade diejenige kirchliche 
Gemeinschaft, aus welcher sie ausgeschieden waren und die ihnen 
am nächsten stand, an: entschiedensten verworfen und am heftigsten 
angefeindet. 
Wir müssen nun bei allen bedeutenderen Sekten sowohl ihre 
reformierte Eigentümlichkeit als ihr Verhältnis zur reformierten 
Kirche zu ergründen und darzustellen suchen und vorzüglich nach 
weisen, wie sie durch nur noch konsequentere Durchführung des 
gemeinsamen positiven Schriftprinzips und durch Festhaltung einer 
einzelnen aus der heiligen Schrift entnommenen Wahrheit entstan 
den find. Die reformierte Kirche hielt sich in größerer oder ge 
ringerer Konsequenz an die in dem Alten unb Neuen Testamente 
gegebenen moralischen Vorschriften und ging in ihren kirch 
lichen Einrichtungen auf die Anfänge der christlichen Kirche, wie 
sie im Neuen Testamente vorliegen, zurück, erkannte aber dabei 
dem Staate eine gewisse politische und kirchliche Berechtigung zu 
und ward dadurch zur r e f o r m i e r t e n Landeskirche 
mit mehr oder weniger enger Verbindung mit dem christlichen 
Staate. Man konnte nun aber auch alle b ü r g e r l i ch e n und 
politischen Gesetze des Alten und des Neuen Testa 
ments als unbedingt gültig anerkennen und also das im 
Neuen Testament noch stattfindende feindselige Verhältnis der Kir 
che zum unchristlichen Staat als Muster aufstellen, also völlige 
politische Unabhängigkeit der Kirche fordern, oder auch umgekehrt, 
den Staat in die Kirche aufnehmen und so nach dem Alte n 
Testamente einen neuen theokratischen christlichen Staat bilden. 
Beides haben die W i c d e r t ä u f e r, (letzteres vorzüglich die 
in Münster), die Quäker und viele andere Sekten bis zur höch 
sten Schwärmerei versucht. Man konnte aber auch nach dem 
Neilen Testamente sogar jeden größern kirchlichen Ver 
band als unbiblisch und unchristlich darstellen und so nach bibli 
schem Muster jede Landes kirche und überhaupt jede K i r ch e 
verwerfen und, nur einzelne Gemeinde n, I n d e p e n d c Il 
ten gemeinden anerkennen, d. h. keine sichtbare, allgemeine ¿giise, 
sondern nur einzelne äZchses. Man konnte ferner jede Ausbildung 
der christlichen Lehre zu einer systematischen Einheit, oder alle 
nicht in der Bibel vorkommenden dogmatischen Ausdrücke, (oder 
wenigstens einige) verwerfen und so ein S o c i n i a n e r, Uni 
tarier, Arminianer oder Quäker werden. 
Die Wiedertäufer, die gleich im Anfang der Reforma 
tion an mehreren Orten zugleich gewöhnlich unter einem entschie 
den schwärmerischen Charakter auftraten und oft den größten Bei 
fall fanden, waren mit den „halben Maßregeln" der Reformatoren 
nicht zufrieden: sie verlangten eine weit genauere unb vollständi 
gere Schriftmäßigkeit der Kirche und aller ihrer einzelnen Ein-
	        
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