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anders gruppierte und man sich freudig mit den Glaubensgenossen
der andern Partei gegen die Glaubensgegner aus der eigenen
Partei vereinigte: — desto größer mußte auch das Bedürfnis
werden, diejenigen, denen man so nahe gekommen, mit denen man
gegen einen gemeinsamen, gefährlichen Feind so enge verbunden
war, gründlich kennen zu lernen nach allen guten und schlechten
Seiten, um dann auch ihre eigentümlichen Ansichten und Urteile
verstehen zu können. So lange dieses Bedürfnis nicht befriedigt
ist, so lange wird man sich immer nur halb verstehen oder gänzlich
mißverstehen, weil man ohne Erkenntnis der Eigentümlichkeit der
eigenen und der anderen Kirche nicht begreifen kann, warum der
nahe Freund bei aller sonstigen Einigkeit doch oft eine so verschie
dene Sprache spricht, so verschiedene Ansichten hat und an unbe
deutenden Sachen mit scheinbar unüberwindlichem Eigensinne
festhält.
Eine solche Vergleichung der beiden Kirchen ist aber in un
sern Tagen erst möglich geworden, teils im allgemeinen durch
die größere Annäherung der Völker zu einander, teils dadurch,
daß man nun, nach versuchter und wirklich vollzogener Union, die
ßeibeu Kirchen zusammen hat, und sie nun ein Mitglied der unier-
ten Kirche unparteiisch, der Wahrheit gemäß, vergleichen kann.
Freilich müssen wir, um die religiöse Eigentümlichkeit der beiden
Kirchen gründlich kennen zu lernen, die beiden Kir
chen möglichst wieder auseinander halten, ihre Verschieden
heiten möglichst scharf ins Auge fassen und dieselben, ohne die
an sich schon hinlänglich anerkannten Aehnlichkeiten her
vorzuheben, überall bis in die äußersten Spitzen verfolgen und die
Unterschiede so deutlich und wichtig machen, daß alle Versuche,
deren es genug mißlungene gegeben hat, die Verschiedenheiten
äußerlich auszugleichen, zu attemperieren, zu neutralisieren,
zu ignorieren, um dadurch eine Union beider Kirchen zu stände
zu bringen, als unverständig und unmöglich erscheinen müssen.
Wir hoffen aber durch unsere Vergleichung dazu beizutragen, daß
jede Kirche zu gründlicher Erkenntnis ihrer eigentümlichen
Vorzüge und Mängel, sowie der eigentümlichen Vorzüge und
Mängel der anderen Kirche gelange, sich dadurch in ihrer
Einseitigkeit begreifen lerne, und so auch dem Verstände die
Notwendigkeit einer Ergänzung durch die andere Kirche klar werde,
nachdem das Herz das Bedürfnis darnach längst gefühlt hat;
damit dann die verschiedenen, aber nicht mehr geschiedenen Schwestern
nach langer Trennung in heiligem Geiste sich vor dem Herrn ver
einigen und gemeinschaftlich von ihm und durch einander sich
segnen lassen.
Wir haben hiermit zugleich den Zweck unserer Untersuchung
angegeben; er ist: Verständigung über beide Kirchen behufs gegen
seitiger Anerkennung und behufs ihrer Ausbildung zur Union.
Was ist Union, dieses in unseren Tagen viel besprochene
und doch so wenig verstandene Wort? Was heißt Union der bei
den evangelischen Konfessionen? Wir antworten kurz: Union
(Vereinigung) ist nicht Einheit, nicht Versöhnung, nicht Ausglei