Full text: Die religiöse Eigentümlichkeit der lutherischen und der reformierten Kirche

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dasselbe ist, wir später noch einiges zu sagen haben. Sondern 
>vir verstehen hier unter pietisti-scher Frömmigkeit die Schatte n- 
feite des wahren Pietismus, das ängstliche, gesetzliche Wesen 
im Christentum, eine Erscheinung, welche scheinbar gerade der 
reformierten Kirche eigentümlich sein sollte und doch in ihr n i e 
hat einheimisch werden können. Denn dasjenige gesetzliche Wesen, 
das wir der reformierten Kirche zugeschrieben haben, ist ein frohes, 
freudiges, freiwilliges, beruhend auf inniger Dankbarkeit, den Wil 
len des Herrn gern erfüllend, weshalb dieser Kirche ein kleinliches, 
gedrücktes und peinliches Wesen im Christentum gänzlich- fremd ist, 
wogegen sie der größern Gefahr der S ch w ä r m e r e i ausge 
setzt ist. Da hingegen der lutherische wiedergeborene Christ keine 
positive Richtschnur seines christlichen Lebens hat, da ihm 
weder durch Teilnahme an der Leitung der Gemeinde, noch durch 
christliche Gesellschaften Gelegenheit zur Aeußerung seiner Fröm- 
migkeit gegeben war, so zog sich seine Frömmigkeit in das stille 
Heiligtum des Herzens zurück, wo sie entweder, i n n e r l i ch 
desto mehr erstarkend, die herrlichsten Früchte einer wahren Heili 
gung des ganzen Menschen in Demut utii) Liebe erzeugte, ober 
aus Mangel an freier, selbständiger Entfaltung, aus Mangel an 
Tatkraft und Betätigung in sich zusammenschrumpfte. Der Luther 
aner betrachtet das Gesetz nur als negative Richtschnur, zur Be 
schränkung, Hemmung seines Fleisches gegeben. Dadurch bekam 
aber auch seine Frömmigkeit einen negativen, ängstlichen Charak 
ter, indem er immer ängstlich auf das Gesetz als auf seinen Zucht- 
meister zurücksah, nur immer auf die durch das Gesetz ihm vorge 
haltenen Sünden hinstarrte, sich immer nur zu sündigen fürch 
tete, während er nicht auch zugleich, vergessend, !vas dahinten ist, 
auf die Gnade dankbar freudig hinsah und Gottes Gebot er 
füllen zu dürfen und zu können sich freute; wodurch denn die 
Frömmigkeit! diesen gesetzlichen, unfreudigen, kopfhängerischen 
Charakter annahm, den wir einen Pietistischen nannten. 
Doch wir müssen die reformierte Frömmigkeit auch auf ihrem 
eignen Gebiet aufsuchen und die ihr beigelegten günstigen unh un 
günstigen Eigenschaften näher erklären und nachweisen. Wir fürch- 
ten aber in Wiederholungen zu geraten, wenn wir uns nicht aus 
alles, was wir bereits über die Sittenreformation und ben bib 
lischen Charakter der reformierten Kirche gesagt haben, beriefen. 
Alles dort Erwähnte beweist ja aufs deutlichste den rein bibli 
sch c n Charakter der reformierten Frömmigkeit, soivie anet) ihr 
Sektenwesen und die stets sich erneuernden Trennungen ihre 
U n k i r ch l i ch k e i t in das hellste Licht stellen. Nach der Bibel 
wird das Leben möglichst genau eingerichtet, und man kann die 
Frömmigkeit des Reformierten fast darnach messen, wie genau, wie 
sorgfältig, wie streng er sich nach ihr richtet. Die Sekten sind 
hierin am konsequentesten und treusten gewesen und haben eben 
nur dadurch den großen Beifall gefunden. — Die reformierten 
Predigten zeichnen sich ebenso wie ihr Kultus überhaupt vor den 
lutherischen in der Regel durch einen entschieden biblischen Cha 
rakter aus, sind mit Bibelsprüchen reichlich versehen (die oft nach
	        
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