Full text: Der Weg des Zentrums

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Wissenschaft und Kunst auf Du und Du zu kommen: und 
mancher, der begabt genug dafür wäre, kommt mit jenen 
gar nicht in Berührung. Aber mit einzelnen Deutschen 
kommt jeder Jude in Berührung. Sind wir so leuchtend 
wahrhaftig, so warmer Liebe voll, so ruhig besonnen, so 
emporatmend zu der großen Heimat droben, wie wir sein 
können, tragen wir das Herz in den Augen — es wäre 
nicht gut, wenn unter dem tauben Gesteine, unter dem ver 
schüttet die Judenseele ächzt, sie uns nicht spüren, von sich 
selbst nicht frei, nicht unser werden sollte." 
Ich habe diese Sätze schon in meinem Buch 
„Reaktion und Antisemitismus" beleuchtet. 
Die Agitatoren des vulgären Antisemitismus ge 
fallen sich immer wieder in großen Anstrengungen, die 
führenden Männer der deutschen Eeisteswelt zu Juden 
gegnern zu stempeln. Nicht selten handelt sichs um er 
dichtete Angaben, nieist um aus dem Zusammenhang 
gerissene Sätze. Mit Vorliebe werden Schopenhauer, 
Fichte, Goethe als Antisemiten zitiert. Bei Schopen 
hauer läßt sich in einem bestimmten Sinne von Antise 
mitismus reden. Aber gerade diese Form des Antisemi 
tismus, die heute propagiert wird, die völkische, die 
rassenmäßige, wird von Schopenhauer vollkommen ab 
gelehnt. Wer den tieferen Sinn der Lehren des Philo 
sophen kennt, weiß, daß er die jüdische Religion be 
kämpft, weil sie o p t i m i st i s ch , lebenbejahend ist, 
weil ihre Transzendenz auf „ewige Wonne" hinaus 
geht, während Schopenhauers Erundthema die Lebens 
verneinung zum Ziele setzt. Von dem, was die Mo 
derne als Antisemitismus betreibt, würde sich Schopen 
hauer schaudernd abgewandt haben. 
Dem, der den ganzen Goethe kennt, braucht nicht 
im besonderen gesagt zu werden, daß man den Dichter 
unter keinen Umständen als Judengegner ansprechen 
darf. Dies ist in großen Arbeiten so ausführlich 
und eingehend dargetan worden, daß nur böser Wille 
zu einem anderen Urteil kommen kann. 
Bei einem erneuten Studium von „Wilhelm 
Meisters Wanderjahre" — wer liest heute noch diesen
	        
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