Von dem Augenblick an, wo der Antisemitismus
an öffentlichem Kredit gewann, sah man allerhand
problematische Gestalten aus dem Lager der Linken
ins antisemitische abschwenken. Oesterreichische Schrift
steller, die durch ihre feuilletonistischen Verpflichtungen
an kleineren „jüdischen" Preßorganen ein annähernd
saturiertes Dasein führten, entdecken plötzlich ihr anti
semitisches Herz, weil die „andere" Seite nun eine
bessere Gewinnchance bot. Der krasseste Fall ist der des
Herrn Ernst von Wolzogen, des Ueberbrettl-Mannes,
des verzogenen Lieblings von Berlin WW, Liber
tinist aus Ueberzeugung, Verteidiger jeglicher Erotik,
grundsätzlicher Vertreter der Weltanschauung: dah
alles verstehen, alles verzeihen heißt; also weltanschau
lich ganz ein Mann der deutschen Linken.
Da nun aber der Antisemitismus eine „Macht"
wurde, vergaß der Mann des Ueberbrettls seinen
ganzen Liberalismus und wurde ein Mitstreiter derer
um Dinier und Fritsch. — Man erinnert sich an De
litzsch' „Die große Enttäuschung", an Vlühers
8ece88io judaica. Der sonst auf der linken Seite
hochgeschätzte Schriftsteller inachte die stark bestaunte
volkspsychologische Entdeckung, daß der Israelit sich
selbst stark disqualifiziere, weil er erschrecke, wenn man
ihm das Wort „Jude" zuruft. Auf die naheliegende Er
klärung, daß der Angerufene gewiß nicht erschrecken
würde, wenn man dem Wort „Jude" nicht durch öffent
liche Agitation den Klang des Gehässigen, Angrei
fenden, Verachtenden beigemischt hätte, ist dieser
Psycholog, diese Stütze linksorientierter Weltanschau
ung, nicht gekommen!
Auch Thomas Mann muß in diesem Zusammen
hang erwähnt werden. Es soll von seinem Kokettieren
mit jüdischen Namen, die er seinen problemati
schen Helden beilegt, abgesehen werden. Daß er aber
in seinem Naphta, einem Helden seines Romans
„Zauberberg", ganz bewußt eine Synthese von Jude und
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