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auch wenn ihn Herr Dr. Schnitzler und seine Freunde
hundertmal als ein überwundenes Postulat hinstellen.
Mit voller Absicht habe ich Goethe zitiert, der mit
seinem scharfen Blick die Zähigkeit als das
ethnisch Wertvolle am Volke Israel er
kannt hat. Diese Zähigkeit aber wird tangiert, wenn der
liberale Jude den eingeborenen Konservatismus des
Jüdisch-Ethnologischen übersieht. Der liberale Jude
darum in den Parteien der Linken ein retartierendes
Moment sein, er soll den Liberalismus in keiner
Sparte des Weltanschauungsmäßigen „überliberalisie
ren". Versteht das liberale Judentum in diesem Sinne
seine Aufgabe richtig, dann wird insbesondere die bür
gerliche Linke eine Brücke bauen helfen zu der großen
Mittelpariei — die keineswegs „unitarisch" sein soll
—, die wir brauchen, um die demokra
tische und soziale Republik zu befestigen.
Und das gläubige Judentum? Ich brauche hier
als positiver evangelischer Christ, der in seiner Sonder
stellung dem pietistisch gerichteten Gemeinschaftsleben
zugewandt ist, so wenig wie der katholische Christ beson
ders zu betonen, daß wir uns dem gläubigen Juden
tum verwandt fühlen. Christen und Juden stehen
auf dem Standpunkt der Welt als Gottes Offen
barung, die er als Ordner des Kosmos erneuernd und
regierend weiterführt. Aus dieser Erkenntnis wird
die große Linie der ewig gültigen Sittlichkeitsnormen
von des Schöpfers Weltregierung gewonnen. So eint
gläubige Christen und Juden die positive Stellung zu
einer gottgeoffenbarten Religion.
Wir als Christen stehen auf dem Standpunkt, daß
das Volk Israel als Zeuge der Christus- Offen
barung durch die Welt gehen wird, bis zu jenem Tag,
der die eine Herde und den einen Hirten bringt. Aber
daraus folgt für den Christen nicht — nicht für den
evangelischen, nicht für den katholischen —, daß die