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diesem Neuerlichen das sittliche Ideal des Elück-
lichseins nicht erreicht ist, braucht nicht besonders dar
getan zu werden, denn wahrhaft reines Glück wird nur
dem Freien, doch in Gott Gebundenen zuteil. Aber
es ist das Wenig st e, was die Menschen tim
können, wenn sie die schweren Lasten der Aeußerlichkeit
vermindern helfen. Können sie es und sie tun es nicht,
so handeln sie gewiß gegen den Willen Gottes. Wenn
es gewissen Leuten gar so wichtig und bedeutsam -st,
Armut, Niedrigkeit, Elend, soziale und wirtschaftliche
Ungleichheit als besonders wertvolle Postulate christ
licher Frömmigkeit und Sittlichkeit hinzustellen —-
warum streben sie nicht darnach, in diesen Zustand zu
kommen? Sie brauchten doch nur das zu tun, was der
Heiland dem reichen Jüngling gebot: alles zu ver
kaufen, sich selbst erniedrigen. Es ist wahrlich eine Tat
minderer Sittlichkeit jener, die durch Glück und Zufall
auf den Höhen des Lebens stehen, den anderen
Armut, Niedrigkeit, Elend, sozialwirtschaftliche Un
gleichheit als Güter irdischen Daseins anzupreisen. Ich
denke mir, daß Gott sich über diese Exemplare in der
Schöpfung seine besonderen Gedanken machen wird.
Nun weise ich seit vielen Jahren meiner öffent
lichen Tätigkeit darauf hin, daß Technik und Entwick
lung es ermöglicht haben, Macht und Willen der Er
füllung von einzelnen abzulösen und auf die Gesamtheit
zu übertragen. Das nenne ich die wirtschaftliche und
soziale Demokratie. Und ich nenne es ein Endpunkt
christlicher Kulturpolitik, wenn dies durchaus
erstrebenswerte und auf der Ebene von Gottes Willen
liegende Ziel vergeistigt und mit einer religiösen
Potenz versehen wird. Der Sinn des Lebens ist nicht
das Irdische; das Irdische ist eine Durchgangsstation
zum Höheren, wie es Lagarde — und mit ihm alle
großen Denker und Führer der Menschheit — schön
und einfach ausgedrückt hat.