Full text: Grundriss der psychiatrischen Diagnostik

Simulation und Aggravation. 
Erscheint halbseitige Taubheit vorgetäuscht, mag man 
in das angeblich taube Ohr hineinsprechen; dann muss das un- 
verschlossene gesunde Ohr noch Flüstersprache verstehen können. 
Hört der Patient nichts, simuliert er. Man kann auch das. 
gesunde Ohr mit einem durchbohrten Pfropfen scheinbar ver- 
schliessen. 
Auf psychischem Gebiete werden am häufigsten 
vorgetäuscht Demenz mit Gedächtnisschwäche, Verwirrtheit 
und Stupor. 
Die übliche Intelligenzprüfung muss hier versagen. Gelingt 
es durch geeignete Fragen, das sogenannte Gansersche Vorbei- 
reden (vgl. S. 89) zu provozieren, so beweist das, dass funktionelle 
Faktoren eine Rolle spielen, und steigert den Verdacht auf Ueber- 
treibung. Bei schlechter Merkfähigkeit probiere man Ziehens 
Simulationsversuch (S. 109). Die Hauptsache bleibt immer, dass 
man durch möglichst unauffällige Beobachtung feststellt, ob die 
Orientierungsfähigkeit des Kranken hinsichtlich seiner Umgebung, 
sein Interesse für dieselbe, seine Art zu essen und seine Bedürfnisse 
zu besorgen, sein Verlangen nach Beschäftigung, seine Anstellig- 
keit usw. in einem entsprechenden Verhältnisse zu seinem Gebahren 
bei der Untersuchung stehen. Auch der Schlaf ist möglichst zu 
kontrollieren. Wichtig ist endlich, zu wissen, wie schnell und 
unter welchen äusseren Umständen der betreffende Zustand sich 
herausgebildet hat. 
Niemals. lasse man den zu Untersuchenden von vornherein 
empfinden, dass man ihm nicht glaubt, oder werfe ihm gar Simu- 
lation vor. Man erschwert sich damit nur die Feststellung des 
tatsächlichen Befundes. In schwierigeren Begutachtungsfällen 
empfiehlt sich Beobachtung in einer dafür eingerichteten Anstalt. 
Besonders schwierig ist die Beurteilung bei den mit Ueber- 
treibung gemischten Situationspsychosen der Kriminellen 
(vgl. S. 132). 
Stets hüte man sich, Simulation und Hypochondrie zu 
verwechseln! Vgl. S. 105 und 131.) 
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