Hysterie. 55
Status som.: Miosis (bei Kokain: Mydriasis), schlechte
Lichtreaktion. Zahlreiche pigmentierte Einstichstellen der Spritze
am Körper, auch Abszesse. Zuweilen Fehlen: des Kniephänomens.
Allmählich schlaffe Gesichtszüge, Kachexie, Haarausfall, Im-
potenz, Dysmenorrhoe, Parästhesien, Schlaflosigkeit. Bei plötz-
licher Entziehung Gähnen, Frost, Erbrechen, Durchfälle, Schweiss,
Wadenkrämpfe, Herzklopfen, kleiner Puls. — KEtwaiger Kollaps
durch Morphium zu heben.
Status psych.: Stimmungswechsel: Vor der Injektion
matt, missmutig; nachher angeregt, heiter. Allmählich Charakter-
degeneration: Egoismus, Unwahrhaftigkeit, Querulieren, Verlust
aller höheren sittlichen Gefühle.
Differentialdiagnostisch kommt der Stimmungswechsel
der Neurastheniker, Hysteriker und Epileptiker in Betracht. Die
Feststellung der Aetiologie entscheidet. Chronischer Morphi-
nismus ist noch nicht als Geisteskrankheit, sondern als ein Grenz-
zustand anzusehen, so lange die Charakterdegeneration nicht
höhere Grade erreicht. Auf seinem Boden entwickeln sich aber
leicht Psychosen:
1. Aengstliche Delirien mit Desorientierung für Ort und
Zeit und mit Sinnestäuschungen, zumal bei gleichzeitigem
Alkoholabusus. Ausserdem können sie als Abstinenz-
delirien bei plötzlicher Entziehung auftreten. Differential-
diagnostisch kommen vor allem Delirium tremens mit seinem
Beschäftigungsdelir, dem Humor und der grossen Suggestibilität
in Betracht und Dementia paralytica, sofern bei der Morphium-
miosis die Pupillen schlecht reagieren, das Kniephänomen fehlt
und die Sprache vorübergehend schwerfällig erscheint.
2. Bilder von Paranoia acuta mit drohenden Stimmen,
Verfolgungsideen. Namentlich bei gleichzeitigem Kokain-
missbrauch. Dabei grosse Neigung zu Angriffen auf die Um-
gebung (vgl. S. 134).
Prognose; Die einzelne Morphiumpsychose ist heilbar.
Auch der Morphium-Missbrauch lässt sich in der Anstalt abge-
wöhnen. Allein die Gefahr der Rückfälligkeit ist stets sehr gross.
Das Gleiche gilt von Kokain usw.
Therapie: Entziehungskur.
Hysterische (oder psychogene) Seelenstörungen.
Hysterie.
Hysterie gilt nicht als Geisteskrankheit, obgleich es sich
bei ihr in erster Linie um psychische Vorgänge handelt: Grosse
Labilität der Vorstellungen und der Stimmungslage,
verbunden mit gesteigerter Beeinflussbarkeit (Suggesti-
bilität) und einer auffallenden Neigung, seelische Vorgänge in
körperliche Erscheinungen, wie Lähmungen, Gefühlsstörungen;
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