Full text: Grundriss der psychiatrischen Diagnostik

Entwicklung. Späterer Lebensgang. 
Krankhafte Fortdauer kindlicher Körperbildung nennt 
man Infantilismus. (Siehe S. 19 unter Status somaticus!) 
Auf psychischem Gebiete finden sich dabei alle Grade 
geistiger Schwäche mit aulfallend kindlichem Wesen. 
Charakter - Eigentümlichkeiten fallen häufig schon 
{rüh bei abnorm veranlagten Menschen auf, die später an 
Psychosen erkranken. Vor allem kommen hier wieder die 
chronisch verlaufenden endogenen Geistesstörungen in Be- 
tracht. Nicht selten erfährt man bei Befragen, dass Patienten, 
welche an Paranoia und Katatonie erkranken, schon von 
Haus aus eigenwillig, verschlossen und scheu gewesen sind, 
sich als Kinder nicht am Spielen beteiligt, die Einsamkeit 
aufgesucht, niemals Freunde gehabt haben. Bei Hysterischen 
hört man von grosser Launenhaftigkeit, bei Epileptischen 
von Zornmütigkeit und Wutausbrüchen. Schwachsinnige 
spielen lieber mit jüngeren Kindern. 
Ueber das Temperament in gesunden Tagen soll man 
sich unterrichten, um krankhafte Veränderungen desselben 
bei Stimmungsanomalien, namentlich bei leichteren Formen 
der manisch-melancholischen Psychosen, besser beurteilen 
zu können. 
Kenntnis der Schulleistungen ist wichtig. Handelt 
es sich in’ späteren Jahren um die Frage, ob angeborene 
oder erworbene Geistesschwäche vorliegt, können sie unter 
Umständen den Ausschlag geben. Auch bilden Schulzeug- 
nisse, die man sich am besten im Original vorlegen lässt, 
bei Imbecillen eine vorzügliche Ergänzung zu der Intelligenz- 
prüfung. Minderbegabte werden heute gewöhnlich in den 
Hilfsschulen unterichtet. 
3. Späterer Lebensgang. 
Es ist zu fragen nach Leistungen in der Lehre, beim 
Militär, im Berufe, überstandenen Examina, wiederholtem 
Wechsel des Berufes, Unstetigkeit, abenteuerlichen Schick- 
salen. Auch die Art der errungenen Lebensstellung kann 
auf den Grad der intellektuellen Befähigung, aul das Ver- 
mögen, sich den Anforderungen des Lebens anzupassen, 
einiges Licht werfen, zumal wenn man den Stand der 
Eltern, die genossene Erziehung, die pekuniären Verhältnisse 
in Berücksichtigung zieht. 
Beim Militär geraten besonders reizbare, haltlose, schwach- 
sinnige Menschen in Konflikt mit den Anforderungen der Manns-
	        
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