Die Hebephrenie.
Die Hebephrenie.
Die Bezeichnung Hebephrenie stammt von KAHLBAUM und
HECKER und wird heute allgemein gebraucht, wenn auch nicht mehr
genau in der von den genannten Autoren gemeinten Umgrenzung.
Wir verstehen darunter Fälle, bei denen sich, in der Pubertäts-
zeit beginnend, in langsamerem oder raschem Verlaufe
gin Zustand geistiger Schwäche entwickelt. Es ist dabei
für unsere Auffassung gleichgültig, ob dieser Prozeß in der ein-
fachen Form einer allmählich fortschreitenden, stillen Ver-
blödung oder unter Begleitung symptomatischer Zustands-
bilder von Depression, Erregung, vorübergehender Wahn-
bildung usw. vor sich geht, ob das Ende schließlich ein Zustand
hochgradigen Blödsinns oder eine nur mäßige oder kaum nachweis-
bare Herabsetzung der geistigen und gemütlichen Funktionen dar-
stellt; in der Tat kommt alles das in mannigfachen Abstufungen
und Uebergangsbildern vor, ebenso wie ein Aufeinanderfolgen ver-
schieden gefärbter Zustände bei demselben Kranken. — Wie die
Imbezillität im pathologischen Bild ein besonderes Gepräge da-
durch erhält, daß ihr Wesen in einer sehr frühzeitig einsetzenden
Hemmung der geistigen Entwicklung besteht, so trägt die Hebe-
phrenie in vielen Fällen gewisse charakteristische Züge, die ihr die
Entstehung in den Jahren der Pubertätsentwicklung mit ihrer
besonderen Geistesverfassung aufdrückt, Züge, die also nicht dem
Krankheitsprozeß als solchem angehören und fehlen können, wenn
die Störung erst in einem jenseits der Pubertätsjahre liegenden Zeit-
punkte beginnt; hierher würde gehören: das Auftreten eigentümlicher,
phantastisch unklarer Regungen, ein stark gehobenes Selbstgefühl,
die Neigung zur Beschäftigung mit den tiefsten Problemen des Da-
seins, die Freude an klingenden Phrasen und stehenden Redensarten,
an Wortwitzen und tätlichen Späßen u. a. m.; ein Teil dieser Kigen-
tümlichkeiten erfährt durch krankhafte Momente noch eine besondere
Verstärkung.
Das Krankheitsbild der Hebephrenie als solches besitzt nun
mit den anderen, später zu schildernden Bildern der Katatonie und
der Dementia paranoides eine Reihe gemeinsamer psychologi-
scher Merkmale, aus denen eben (unter anderem) trotz äußer-
licher Verschiedenheit auf innere Zusammengehörigkeit geschlossen
werden darf,
Das Bewußtsein bleibt, von episodischen Erregungszuständen
abgesehen, klar, die Orientierung über Raum und Zeit erhalten;
Aufmerksamkeit und Interesse erfahren eine merkliche Ab-
schwächung; Merkfähigkeit und Gedächtnis dagegen brauchen
nicht oder wenigstens lange Zeit hindurch nicht deutlich beein-
trächtigt zu werden. Der Gedankengang erleidet Veränderungen,
die von KRAEPELIN als „Zerfahrenheit des Denkens“ bezeichnet
worden sind (erhöhte Ablenkbarkeit, Verlust des inneren Zusammen-
hanges der Vorstellungen, unvermitteltes Auftauchen von Einschiebseln).
Diese „Zerfahrenheit“ des Denkens äußert sich in gleicher Weise
in den Reden, wie in den schriftlichen Aeußerungen der Kranken.
Nachstehend der Brief eines Hebephrenikers an seine Familie, dessen
einziger Inhalt eigentlich der Wunsch ist, nach Hause zu kommen.
Lehrbuch der Psychiatrie. Ill. Aufl. 16
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