Alkoholpsychosen. 281
Momente feststellen, welche die erste Attacke auslösten, in einem
Falle sah ich im Anschluß an ein Trauma, das einen Schädelbruch
zur Folge hatte, das Leiden auftreten, in einem anderen löste eine
starke Gemütsbewegung die erste Attacke aus. Der Beginn der
Krankheit fällt meist in das dritte oder vierte Lebensjahrzehnt. In
selteneren Fällen beginnt die Krankheit schon gegen das Ende der
Pubertät. Im großen und ganzen ist die Dipsomanie keine häufige
Krankheit.
Die dipsomanische Attacke beginnt in vielen Fällen mit Pro-
dromen; die Kranken fühlen sich matt, beunruhigt, schlafen schlecht
und klagen gelegentlich auch über Angst. Nicht selten beobachtet,
man auch, daß ein Stadium von krankhafter Eigenbezeichnung und
Mißtrauen, das oft einen fast paranoischen Charakter annimmt, den
einzelnen Anfall einleitet. In einzelnen Fällen konnte ich in diesen
Prodromalstadien das Auftreten von Pupillenungleichheit oder
einseitiger Facialisparese oder Sprachstörung feststellen.
‚Den Beginn der eigentlichen Attacke kennzeichnet das Auf-
treten eines zwangsmäßigen Antriebs zum Genuß alkoholischer Ge-
tränke, dem der Kranke trotz allen Widerstrebens schließlich unter-
liegt. Der Zwang zum Trinken wird von den Kranken auf die ver-
schiedensten Ursachen zurückgeführt. Die einen geben an, daß eine
unnennbare Angst sie dazu angetrieben habe, andere berichten, eine
unerklärliche Unruhe, ein Mißtrauen gegen ihre Umgebung, speziell
gegen die Menschen, welche es am besten mit ihnen meinten, habe
ihnen das Schnapsglas in die Hand gedrückt, andere wissen gar nicht
anzugeben, wie das so gekommen sel.
Die Attacke selbst spielt sich bei ein und demselben Individuum
meist in fast photographischer Treue ab, wenn auch die Anfälle nicht
in regelmäßigen Intervallen, sondern meistens in unregelmäßigen
Zeiträumen auftreten, so daß also der Ausdruck „Quartalsäufer“ nur
sehr cum grano salis zu nehmen ist. Der eigentliche Anfall beginnt
mit einem wahl- und ziellosen Trinken, das meist sehr bald bei der
ausschließlichen Kognak- und Schnapszufuhr anlangt. Auch der
Bessersituierte sucht für seine Exzesse meist Kutscherkneipen und
übelberüchtigte Spelunken auf oder er treibt sich planlos wie ein
Poriomane in den Wirtshäusern verschiedener benachbarter Dörfer
herum. Die Attacke dauert etwa 3 Tage, kann sich aber auch bis
zu 14 Tagen hinziehen. Der Grad des Rausches ist verschieden,
wenn auch sinnlose Betrunkenheit gewöhnlich der Schluß zu sein
scheint.
Einzelne Dipsomanen sind intolerant gegen Alkohol und ge-
raten in der Attacke gewöhnlich sehr rasch in einen Zustand schwerer
Bewußtseinsstörung, in dem sie der Umgebung sehr gefährlich werden
können. Sehr häufig ist den Kranken in der Attacke jedes Mittel
recht, um zu Alkohol zu gelangen. Manche Patienten wissen nachher
genau, in welcher Kneipe sie gewesen sind und begleichen dann
ihre Schulden, andere, bei denen Amnesie besteht, kommen wegen
Zechprellerei in Untersuchung.
Häufig endet die dipsomanische Attacke mit einem terminalen
Schlaf. Nach Ablauf der Attacke ist der Kranke niedergeschlagen,
voller Selbstvorwürfe, in der Regel überwindet er aber innerhalb
kurzer Zeit diese Depression und macht sich mit den besten Vor-
sätzen wieder an die Arbeit. Er ist fleißig und nüchtern, bis ein
neuer Anfall kommt und ihn wieder seinem Verhängnis entgegenführt.
Eine Heilung der Dipsomanie gehört zu den Seltenheiten und