Tr R. WOLLENBERG,
Von den mehr den Charakter geschlossener psychotischer Zu-
standsbilder tragenden Formen sind zunächst die Fälle zu er-
wähnen, die unter dem Bilde der Korsakowschen (amnesti-
schen) Geistesstörung erscheinen (vgl. das Kapitel „Alkohol-
psychosen“).
Diese nach KAHLBAUMS Vorgang von WERNICKE als Presbyo-
phrenie bezeicheete Form, die den schärfsten Typus der senilen
Geistesstörungen darstellt, scheint das weibliche Geschlecht
entschieden zu bevorzugen und kennzeichnet sich durch die
tiefe Störung der Merkfähigkeit, die Neigung zur Kon-
fabulation und die schwere Beeinträchtigung des ört-
lichen und zeitlichen Orientierungsvermögens bei er-
haltener Aufmerksamkeit und Ordnung des Gedanken-
ganges, leidlicher Urteilsfähigkeit und indifferenter oder
leicht euphorischer Gemütslage. Anklänge an Zustände
dieser Art kommen auch sonst bei senil Dementen vielfach vor @.
oben). Hier fällt es aber bei dem äußerlich korrekten und
geordneten Verhalten dieser Kranken ganz besonders auf,
wenn sie alles nach kürzester Zeit wieder vergessen, über die wich-
tigsten, sie selbst betreffenden Daten, wie Namen, Geburtstag, Familien-
verhältnisse, die Generation, der sie angehören usw., völlig im un-
klaren sind und dementsprechend die unrichtigsten und wider-
sprechendsten Antworten geben, sich auch nach längerem
Aufenthalt in der Oertlichkeit und in den Personen ganz und gar nicht
auskennen usw. — In anderen Fällen zeigt die Stimmung dieser
Kranken mehr einen leicht gereizten oder zornmütigen Charakter,
Die Presbyophrenie tritt entweder als chronische oder als
akute, delirante Form auf; in letzterem Falle besteht gleich-
zeitig ein mäßiger Grad von Bewegungsunruhe, Schlaflosig-
keit und zeitweiliges Halluzinieren, besonders auf opti-
schem Gebiet. Die chronische Form ist als unheilbar anzu-
sehen und geht schließlich in einfache senile Demenz über; die akute
kann innerhalb einiger Wochen zur Heilung kommen.
Die übrigen auf dem Boden des Seniums eutstehenden psycho-
tischen Zustände können die senil modifizierten Züge der
verschiedensten funktionellen Geistesstörungen tragen.
Wir sehen am häufigsten melancholische und hypochondri-
sche, ferner paranoische Formen und halluzinatorische
Verwirrtheitszustände, dagegen verhältnismäßig sehr selten mani-
sche Bilder, es sei denn, daß es sich um einen im Senium ein-
tretenden Anfalldes manisch-depressivenIrreseins handelt.
Die an Häufigkeit weit überwiegenden senilen Depressions-
zustände, die unter dem Bilde einer Melancholie auftreten, kenn-
zeichnen sich häufig durch triebartige Unruhe, Neigung zur
Selbstbeschädigung und zu raptusartigen Gewalthand-
lungen, sowie durch unsinnige Versündigungs-, Ver-
armungs- und Kleinheitsideen, die meist in monotoner Weise
immer wieder vorgebracht werden. Auch die sehr häufigen hypo-
chondrischen Wahnideen lassen in ihrem absurden Inhalt den
Ursprung aus der geistigen Schwäche erkennen. Die Kranken haben
alles Böse der Welt begangen, müssen die Kurkosten für alle Kranken
der Welt bezahlen; alles, was auf der Welt passiert, ist ihre Schuld,
alle Menschen müssen ihretwegen sterben, alles befindet sich ihret-
wegen im Wasser, geht zugrunde, sie reden eine Sprache, die niemand
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