Full text: Lehrbuch der Psychiatrie

390 R. WOLLENBERG, 
Körperliche Störungen sind vorhanden, aber meist nicht sehr aus- 
gesprochen. 
Im Anschluß hieran sei auf gewisse nichtparalytische psychische 
Störungen hingewiesen, die sich im Verlauf der Tabes dorsalis 
zuweilen einstellen. Abgesehen von leichteren Störungen mehr elemen- 
tarer Art werden auch hier paranoide Zustände nicht selten be- 
obachtet, teils in der Form des akuten halluzinatorischen Alkohol- 
wahnsinns (s. das Kapitel Alkoholpsychosen), teils in mehr chronischer 
Form mit Wahnideen (Wahn körperlicher Beeinflussung) und Sinnes- 
täuschungen. 
Auf dem Boden der Lues cerebi entsteht endlich nicht selten eine 
Form der Epilepsie. Die Anfälle zeigen dabei im allgemeinen 
dieselben Abarten, wie wir sie bei der echten Epilepsie kennen, 
treten aber meist erst im etwas reiferen Alter auf. Bei genauerer 
Untersuchung finden sich diese oder jene körperliche Zeichen der 
Hirnerkrankungen (Augenmuskellähmungen, Pupillenveränderungen, 
Hemiparesen usw.), die auf die Besonderheit des Falles hinweisen. 
Die serologische Untersuchung hat endlich in neuester 
Zeit Beziehungen zwischen kongenitaler Syphilis und gewissen 
psychischen Entwicklungshemmungen aufgedeckt. 
Pathologische Anatomie. 
In bezug auf die Lokalisation des syphilitischen Krankheits- 
prozesses. lassen sich 3 Gruppen unterscheiden, nämlich 1. die Fälle 
mit Bildung zirkumskripter Gummiknoten (rein gummöse Formen), 
2. die gummös-meningitischen Prozesse an der Basis oder der Kon- 
vexität (meningitische Formen), 3. die syphilitischen Gefäß- 
erkrankungen (vaskuläre Formen). Bei den Fällen der 3. Gruppe 
sind wiederum zu unterscheiden solche, bei denen vorzugsweise die 
großen Hirngefäße, und solche, bei denen die kleinen Rinden- 
gefäße betroffen sind. Uebrigens lassen sich diese Formen nicht 
scharf voneinander abgrenzen. ” 
Die isolierten Gummigeschwülste finden sich an den 
Häuten des Gehirns oder in der Hirnsubstanz selbst, teils mit Er- 
weichungen und meningitischen Infiltrationen, teils ohne solche. — Die 
luetisch-meningitische Infiltration kann sich auf die Basis 
oder auf die Konvexität beschränken, seltener ergreift sie beide 
Regionen. Die gummöse Meningitis der Basis bevorzugt die 
Gegend zwischen Chiasma und vorderem Brückenrand, 
erstreckt sich aber auch weiter nach vorn und nach hinten. Dieser 
Lokalisation entsprechend findet man vorzugsweise den Nervus opticus 
und oculomotorius in meningitische Infiltrationen eingebettet oder 
selbst durchwachsen; häufig sind aber auch die anderen Hirnnerven 
(Olfactorius, Abducens, Trochlearis, seltener Facialis, Trigeminus, 
Acusticus usw.) geschädigt. — Infolge der Neigung der meningitischen 
Infiltrationen, an den benachbarten großen, Gefäßen in die Gehirn- 
substanz selbst vorzudringen, kommt es häufig zu Erweichungen. 
Mikroskopisch zeigt die frische Iluetische Meningitis eine 
massige, nahezu gleichartige Infiltration der Pia mit Lympho- 
cyten. ‚Diese Infiltration erfüllt, abweichend von dem Verhalten bei 
der Dementia paralytica, auch die Wandungen der Pialgefäße und 
das interstitielle Gewebe der Nerven. In den stärksten Anhäufungen 
der Infiltrationszellen. kommt es weiterhin teils zu herdförmigem Zer- 
fall, teils. zu derber Schwartenbildung.‘ Die Beteiligung 
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