Full text: Lehrbuch der Psychiatrie

] R. WOLLENBERG, 
sein und geordnete Handlungen ausführen können, für welche sie 
nachher keine Erinnerung haben. 
Nach mehrtägiger Dauer klärt sich das Bewußtsein, die 
Kranken zeigen aber jetzt eine auffällige Merkschwäche und 
dadurch bedingte Schwierigkeit, sich zu orientieren, besonders in zeit- 
licher Beziehung. Oft kommt es zu Erinnerungsfälschungen und Kon- 
fabulationen, so daß das Zustandsbild lebhaft an den Korsakow- 
schen Symptomenkomplex (s. Alkoholpsychosen) erinnert. — 
Die so gekennzeichnete akute Kommotionspsychose darf als 
der eigentliche Typus der primären traumatischen Psychosen 
angesehen werden (KALBERLAH). ; 
Die geschilderten Störungen können sich allmählich wieder aus- 
gleichen, sehr oft bleiben aber gewisse Krankheitserscheinungen 
auf geistigem und körperlichem Gebiet längere Zeit oder 
auch dauernd bestehen: Die Kranken sind geistig ermüdbar, sehr 
empfindlich gegen Geräusche, kalorische Einflüsse, Alkohol, Nikotin usw.; 
vielfach besteht eine ausgesprochene Menschenscheu, die Kranken 
sitzen untätig da, sind teilnahmlos, egoistisch, ohne Verantwortungs- 
gefühl, dabei aber in ihrer Auffassung und Urteilsfähigkeit nicht 
wesentlich gestört und in bezug auf ihren Zustand nicht ohne Ein- 
sicht. Besonders auffallend tritt oft die krankhafte Reizbar- 
keit hervor, die aus kleinem Anlaß zu den heftigsten Wutaus- 
brüchen und gewalttätigen Handlungen führen kann. So kann es zu 
einer völligen Umwandlung des Charakters kommen (traw- 
matische Degeneration). 
In anderen Fällen treten die Zeichen geistiger Schwäche 
mehr oder weniger deutlich hervor. Die Kranken sind einsichtslos 
und urteilsschwach, eigensinnig, verschroben, zuweilen prahlerisch und 
lügenhaft im Sinne der Pseudologia phantastica. So kann sich eine 
ausgesprochene traumatische Demenz entwickeln, die sich kenn- 
zeichnet durch geistige Schwerfälligkeit, Interesselosigkeit bis zu 
völliger Apathie, Vergeßlichkeit auch für weiter zurückliegende Dinge, 
Zerfahrenheit, labile Stimmung mit plötzlichen unvermittelten Erre- 
gungszuständen usw. Diese Zustände erreichen hohe Grade meist 
erst nach längerer Dauer, zeigen aber im ganzen einen sehr sta- 
tionären Charakter und unterscheiden sich schon dadurch von 
den typischen Fällen der Dementia paralytica. Im übrigen ist 
hier für die Differentialdiagnose zu verwerten das meist relativ 
gut erhaltene Altgedächtnis, das geringe Hervortreten ethischer De- 
fekte, das Fehlen wesentlicher körperlicher Störungen (reflektorische 
Pupillenstarre, Sprachstörung), endlich des typischen cytologischen 
und serologischen Befundes bei der traumatischen Demenz. 
Auf körperlichem Gebiet sind besonders typisch die Klagen 
über Kopfweh und Schwindel, welche im Verein mit der oben- 
erwähnten gemütlichen Reizbarkeit ein charakteristisches 
Syndrom der Traumatiker bilden. Der Kopfschmerz wird selten 
lokalisiert, meist vielmehr als allgemeiner dumpfer Druck geschildert; 
er zeigt in seiner Intensität eine deutliche Abhängigkeit von äußeren 
Einflüssen, wie Bücken, Schütteln, Anstrengungen, Aufregungen, Alkohol, 
Hitze usw.) Der Schwindel tritt meist nicht spontan, sondern in 
Anfällen auf, die von gewissen Gelegenheiten (Veränderungen der 
1) In manchen Fällen ist es nicht ein eigentlicher Schmerz, sondern diese oder 
jene Mißempfindung besonderer Art, die von den Kranken oft an die Stelle der Ver- 
letzung verlegt wird, 
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