2. Kapitel. Rousseau.
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*) Livre II, cliap. 2.
**) Livre. III, chap. 15.
***) Ebendaselbst chap. 13 u. 14.
Der Grundgedanke, ja eigentlich der Gesammtinhalt von
Rousseau's Lehre ist hienach die unveräußerliche und unüber
tragbare Gewalt oder Souveränetät des Volks, d. i. der Ge-
sammtmasse oder des Kollektivwillens. Als seine Korrelate er
geben sich denn die Uutheilbarkeit, die Unvertretbarkeit und die
Unumschränktheit dieser dem Volke zustehenden Gewalt.
Das Volk hat die Gewalt untheilbar. Es können nicht
Zweige der Gewalt, namentlich die exekutive Gewalt, abgetrennt
und auf den Fürsten übertragen werden (Gegensatz gegen Mon
tesquieu und auch gegen Locke). Denn dadurch würde ein Sub
jekt der Gewalt entstehen, ein Wille, wäre es auch nur in irgend
einer Sphäre, gelten, der nicht jener allgemeine Wille ist*).
Das Volk hat die Gewalt unrepräsentirbar. Abge
ordnete des Volks können keine Gesetze geben, denn auch sie
sind immer ein Anderes als der Gesammtwille, sind ein Wille,
bei dem nicht jeder gleichmäßig konkurrirt. Gesetze, welche
nicht das Volk selbst gegeben oder bez. genehmigt hat, sind nicht
Gesetze, haben keine Geltung. Es giebt darum nur wenige
Staaten, die wirkliche Gesetze haben. Das englische Volk glaubt
frey zu seyn, es ist aber nur frei im Momente der Wahlen
für das Parlament; wie diese vorüber, „ist es Sklave, ist es
nichts"**). Zu dem Ende müssen auch regelmäßig Versamm
lungen des ganzen Volks gehalten werden, und zwar ohne
Berufung durch Magistrate, aus eigner Macht des Volks, und
sobald das Volk versammelt ist, weicht alles Ansehen der Ma
gistrate; denn wenn der Repräsentirte erscheint, hat der Reprä-
sentirende keine Bedeutung mehr***).
Das Volk hat die Gewalt unumschränkt. Es kann