III. Der Wandel der Ordnungen
scheidende Lebenswahl getroffen, so liegt der Rahmen, in dem
das eigene Leben sich abspielen wird, unwiderruflich fest.31%
Die Analogie zwischen Polis und Seele wirkt sich beim Verfas-
sungswechsel in beide Richtungen aus.?1*4 Einerseits wird das tra-
ditionelle Kriterium, demzufolge der Wechsel politischer Ordnun-
gen (xolıtsiat) einhergeht mit einem Regierungswechsel,*° auf
die seelischen Ordnungen übertragen; so werden auch die seeli-
schen Übergänge zu ‚Machtwechseln‘, die entweder (mehr oder
weniger) friedlich (550b5-7. 553b7-d7) oder gewaltsam und nach
Art eines Bürgerkriegs vonstatten gehen. können (559e4-561a1l.
573a4-b4). Dabei entspricht die Gesamtzahl der nacheinander re-
gierenden seelischen Instanzen der Gesamtzahl der behandelten
Menschentypen, #® die Gesamtzahl der in der Polis abwechselnd
regierenden Menschentypen der Gesamtzahl der behandelten politi-
schen Ordnungen. Andererseits bedingen es die Erfordernisse der
Analogie, daß auch schon bei den politischen Übergängen weniger
der Wechsel von Gesetzen, Institutionen oder die Vergrößerung
oder Verkleinerung des Kreises der Herrschenden als vielmehr der
Wechsel vorherrschender Lebensziele und daraus resultierender
Lebensweisen ins Zentrum gerückt wird (547b2-7. 548c5-7.
551a7-10. 555b9-10. 557b4-6. 562a10-c6 u.a.). Einen erhebli-
chen Einfluß hat die Analogie auch auf die Ausdrucksweise. Die
Wortwahl nimmt schon im politischen Teil, der immer vorange-
stellt ist, vorausschauend auf die Erfordernisse der Analogie Rück-
sicht und lehnt sich umgekehrt im seelischen Teil bewußt an die
313 Dieselbe Botschaft verkündet sehr deutlich, wenngleich in mythischer
Einkleidung die Schlußpartie des Dialogs: 617 d6-620 e6. Wandlungs- und Be-
kehrungserlebnisse, die zur vollkommenen Neuorientierung des Lebens führen,
haben in der Systematik der ‘Politeia’ keinen Platz. Nur die erst- und einmali-
gen Errichtung einer Seelenherrschaft im jungen Menschen darf durch ein au-
Bergewöhnliches Ereignis hervorgerufen sein (so in 553a9-c 8). — Aus dem
intendierten Schema fällt faktisch allerdings der demokratische Mensch heraus,
dessen Ordnung im Grunde darin besteht, keine Ordnung zu haben
‘561 c6-e8).
314 Vgl. auch Kap.IV, E, F und G.
315 Vgl. Schöpsdau [1994] 93 Anm.2 und 350. Die Konzeption der politischen
Irdnung (xolıteia) umfaßt mehr als nur die Regierungsform (s.u. S.193-195).
316 Nach der Formulierung von 544d6-e6 sogar der Zahl der vorhandenen
Menschentypen überhaupt. Dies kann allerdings nicht richtig sein: vgl.
445c 1-7.