C. Die Bedeutung des Wandels
Ay:
‘Politeia’ VIII-IX ist weder formal noch inhaltlich als ‚Tragödie‘
konzipiert.
Die sokratische Gestaltung belegt keineswegs, daß Platon ausge-
rechnet die Tyrannis für eine stabile politische Ordnung gehalten
hätte. Eine solche Ansicht wäre ganz und gar absurd.** Sie be-
legt vielmehr, daß in der ‘Politeia’ nicht einfach platonische Über-
zeugungen zum Ausdruck kommen, sondern auf das Beweisziel und
darstellerische Belange geachtet wird. Die ‘Politeia’ ist, entgegen
einer Vorstellung, die heute noch weithin dominiert, nicht die dia-
logisierte Darstellung einer platonischen Lehre, sondern ein durch-
wegs funktional gestaltetes Argument.
C. Die Bedeutung des Wandels
Außer acht gelassen wurde in Abschnitt B die Frage, ob Platon
den Verfassungswandel als einen geschichtlichen Prozeß betrachtet
345 Vertreten wurde die Deutung des Verfassungswandels als Tragödie in
neuerer Zeit vor allem von Janke [1965]. Jankes Auffassung ist allerdings, wie
viele Arbeiten, nicht in Thema und Beweisziel der ‘“Politeia’ verankert und be-
ruht zudem auf eindeutigen Fehlurteilen (so heißt 545e1 toayıxöc ganz sicher
nicht „im Sinne der Tragödie“ und bezieht sich im übrigen nur auf die Musen-
rede, nicht auf den Verfassungswandel insgesamt; vgl. den Kommentar zu die-
ser wichtigen Stelle); zu Jankes Versuchen, Beziehungen zur aristotelischen
Tragödientheorie herzustellen, genügen die Bemerkungen von Hellwig [1980] 6
Anm.33. Eher kurios mutet die Behauptung von Nichols [1987] 125f. an: “If
man vacillates between the tyranny of the city in speech [gemeint ist damit
die gute Ordnung!] and the chaos of its decomposition, his situation is tragic”.
— Vielleicht ist es nicht überflüssig, nochmals ausdrücklich festzuhalten, daß
weder Buch IX mit dem Unglück des Tyrannen noch unsere ‘Politeia’ mit Buch
IX endet (vgl. Friedländer [1964/75] II 112; ferner Romilly [1977] 2f.)
3% Die. Tyrannis ist so wenig stabil, daß selbst ihre Zustandsbeschreibung in
die Erzählung einer Geschichte umschlägt, die deutlich zum immer Schlechte-
ren verläuft; am Tiefpunkt wird die Beschreibung abgebrochen (566 d8-569c 9.
573a11-576 b 9). Daß der so erreichte Zustand nicht von Dauer sein kann,
läßt sich unschwer vermuten, obgleich Sokrates kein Wort darüber verliert
(vgl. Ryffel [1949] 132). — Bei Herodot III 82 wird die Auffassung vorgetra-
gen, als Zerfallsprodukt sowohl der Oligarchie als auch der Demokratie ergebe
sich immer eine Monarchie. Diese soll, wie aus dem Überlegenheitsargument
erkennbar wird, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen stabil sein. Diese Dar-
stellung läßt sich auf die ganz anderen Voraussetzungen des platonischen Ver-
fassungswandels nicht projizieren (wie es gelegentlich geschieht).