IR
IH. Der Wandel der Ordnungen
wissen wollte. Gerade darauf hat sich die Forschung jedoch be-
sonders konzentriert. *’ Nach Ansicht vieler Interpreten soll Platon
entweder reale historische Entwicklungen geschildert, typische
oder typologische historische Verläufe dargestellt oder gar an ei-
nen naturgesetzlich zwingenden Verlauf der Geschichte geglaubt
haben; 8 eine Mehrzahl der Interpreten scheint der zweiten dieser
drei Alternativen zuzuneigen.® Man hat von einer Metabole-
347 Mit der Nennung aller von mir erfaßten Belege ließen sich Seiten füllen.
Im folgenden — wie durchwegs in dieser Arbeit — stets nur einige Beispiele,
348 Wegen ihrer Bekanntheit und Wirkung verweise ich hier nur auf Poppers
Grundthese, daß sich Platon in ‘Politeia’ VIII-IX und an anderen Stellen als
Vertreter des sogenannten ‚Historizismus‘ zu erkennen gebe, der an die Gültig-
keit historischer Gesetze geglaubt und diese als Ableitung kosmischer Gesetze
empfunden habe, Der politische Verfall hänge für Platon am sittlichen Verfall,
dieser wiederum an ‚rassischer Degeneration‘. Zu erläutern, wie (und in wel-
cher Absicht) Popper zu solchen Thesen kommt, auf deren (teils absurde) Im-
plikationen er nicht eingeht, führt hier zu weit; abgesehen von den nicht we-
nigen nachweislichen (und häufig nachgewiesenen) Fehldeutungen Poppers im
einzelnen (vgl. z.B. Elias [1984] 103-111. 175f.) sei hier nur bemerkt, daß
Poppers Kritik an Platon ein Platonbild voraussetzt, in dem jeder einzelne Satz
einer Dialogfigur ohne Beachtung von Gesprächszusammenhang und Gesprächs-
absicht als ‚Lehre Platons‘ angesehen werden darf, in dem weiterhin ausge-
rechnet Passagen wie die Musenrede als die eigentlichen Ecksteine platoni-
scher Lehre erscheinen (vgl. meinen Kommentar zu dieser Passage) und in dem
die Frage nach dem eigentlichen Thema, nach Zweck und Verlauf des Ge-
sprächs zwischen Sokrates und den Bridern gar nicht auftaucht. Hinter Poppers
Thesen steht die Vorstellung, Sokrates verkünde Glaukon und Adeimantos, die
von ihm die Verteidigung der Gerechtigkeit erwarten, stattdessen (aus uner-
findlichen Gründen) seine Ansichten über den rassischen und moralischen Ver-
fall der Staaten und über die Macht der Philosophen, diesen Zerfall aufzuhal-
ten. Solche Vorstellungen hat Popper allerdings nicht selbst geschaffen, son-
dern tatsächlich vorgefunden. Ganz verschwunden scheinen sie bis heute
nicht.
349 Daß in “Politeia’ VIII-IX weder ein real vollzogener noch ein zwingender
historischer Verlauf geschildert werde, sondern eher Verlaufstypen erfaßt seien,
sagen (mit z.T. unterschiedlicher Nuancierung) z.B. Susemihl [1855/60]
226 f.; Jowett [1892] cxxvii; Nettleship [1901] 294-300; Adam II 195f.; Boyd
[1904] 164 Anm.1; Barker [1906] 176-179; Apelt [1923] 517-519; Pohlenz
[1923] 91; Singer [1927] 139-141; Joseph [1935b] 112; Shorey [1935] xiv;
Taylor [1939] 26ff.; Croiset [1946] 238f.; Ryffel [1949] 107-110; Vretska
[1953 a} 42f.; von Fritz [1954] 66; Voegelin [1957] 117f. u.a.; Luccioni
[1958] 192f. u.a.; Krämer [1959] 97f. Anm.131; Cross/Woozley [1966]
262f.; Gundert [1971] /KS 84; Guthrie [1975] 528; Fuks [1977] 53; Romilly
[1977] 2f.; Meulder [1979] 138; Hellwig [1980] 167f.; R. Martin [1981]