Full text: Dialogform und Argument

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IV. Die Analogie zwischen Polis und Seele 
fen zunächst das Stadium der Wächter, aber die vernünftige See- 
leninstanz durchläuft nicht das Stadium der streitlustigen Instanz; 
die herrschenden Oligarchen haben sich evolutiv aus den vormals 
herrschenden Timokraten entwickelt (551a7-11), aber der dritte 
Seelenteil sich nicht aus dem zweiten (553b7-d7); in der Timo- 
kratie wird der ehemalige dritte Stand versklavt, jedoch im timo- 
kratischen Menschen nicht das &rıfuuntıx6v;®1 das vernünftige 
und das streitlustige Element scheinen in der oligarchischen Ord- 
nung ausgestorben (vgl. 547e2-3. 551a7-11), während es in der 
oligarchischen Seele vorhanden ist und der herrschende Trieb sich 
seiner Fähigkeiten bedient (553b7-d7. 554b7-e6); gespalten ist 
die oligarchische Polis zwischen Reichen und Armen (551d5-7), 
die oligarchische Seele jedoch zwischen besseren und schlechteren 
Trieben (554d9-e1); in der demokratischen Polis herrscht Anar- 
chie (557a9-558c7), in der demokratischen Seele hingegen Iso- 
nomie (561a6-e6); da Stände aus Individuen bestehen, seelische 
Instanzen aber nicht, gibt es in der Seele kein Analogon zu der in 
der Polis entscheidend wichtigen Freundschaft und Gemeinschaft 
der Wächter untereinander; aus demselben Grund könnte das in 
545c9-d3 für Menschen postulierte Prinzip nicht für Seelenin- 
stanzen gelten; die Seeleninstanzen haben, trotz metaphorischer 
Aussagen (415a4-7. 416e4-417al. 547b5-6), keinen Besitz, 
woraus folgt, daß das für die Polis zentrale Prinzip der Trennung 
von Besitz und Macht in der Seele kein Analogon haben kann; an 
Frauen- und Kindergemeinschaft sei hier nur erinnert. In Summe 
besagen diese Punkte auch, daß die Einheit der Polis von gänzlich 
anderer Art sein muß als die Einheit der Seele. 
Daß sich auch die zentrale Frage des Dialogs, ob Gerechtigkeit 
zum Glück führt, nur für das Individuum stellt, wurde oben bereits 
angedeutet. ®? Und weitere Beispiele für die Grenzen der Analogie 
451 Vgl. vielmehr 548 a5-c2. 
452 Seelische Instanzen sind nicht glücklich oder unglücklich; nur der 
Mensch ist glücklich oder unglücklich. Seelische Instanzen sind auch nicht ge- 
recht oder ungerecht, jedenfalls dann nicht, wenn gerecht nur derjenige ist, 
der mehrere Instanzen in sich trägt, die das Ihre tun. Sonst ergäbe sich ein 
unendlicher Regreß. Gilt diese Voraussetzung allerdings nicht, so schließt So- 
krates in 435b9-c2 zu Unrecht auf die Existenz von Seeleninstanzen in der 
gerechten Seele. Dann scheitert die Analogie bereits im Ansatz. — Zum Glück 
der Polis s. Anm. 446.
	        
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