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IV. Die Analogie zwischen Polis und Seele
oder politische Institutionen. °1* Für die politischen Ordnungen
müssen folglich andere Unterscheidungsmerkmale gefunden wer-
den, Unterscheidungsmerkmale, die es erlauben, die Analogie zwi-
schen Polis und Seele zu wahren und die Ziele des Gesprächs zu
erreichen. Das Analogieverfahren selbst beeinflußt somit entschei-
dend die Konzeption der politischen Ordnungen. Die Annahme, in
der ‘Politeia’ würden die bekannten Verfassungen nur nach unübli-
chen Maßstäben beurteilt, greift zu kurz;1® vielmehr verbergen
sich hinter den bekannten Verfassungsnamen unübliche Inhalte. 17
515 Das Fehlen solcher Details ist folglich nicht, wie es gern geschieht, als
mangelndes sokratisches (bzw. platonisches) Interesse an der historischen Rea-
lität zu werten, sondem ergibt sich zwingend aus dem gewählten Verfahren.
Die in Handbüchern und ‚Einführungen‘ bis heute kolportierte Vorstellung, Pla-
ton habe sich nur für Ideen und nicht für die Realität interessiert, die aus
mehreren Gründen fragwürdig ist (siehe z.B. Heitsch [1992a] /KS 127-149),
zrfährt hieraus also keine Stütze,
516 So etwa Romilly [1977] 2: “In the Republic he [Platon] judges
sonstitutions according to moral standards etc.”. Ähnliche Äußerungen finden
sich bei vielen anderen Interpreten.
517 So im Prinzip bereits Nettleship [1901] (s.u. Anm.565); ferner etwa
Jaeger [1936/47] 111 68: „Es ist hier wie überall deutlich, daß ein ursprünglich
rein politischer Begriff für Plato zu einem Symbol für einen bestimmten psy-
chischen Strukturtypus geworden ist“; Platon komme es „auf die Staatsform als
solche ja überhaupt nur in zweiter Linie an, nämlich insofern er sie braucht,
um den Krankheitstypus der Seele ... an den von ihm erzeugten Staatstypus zu
verdeutlichen“ 64). Ryffel [1949] 98 meint, Platon wähle „so möchte es bei-
nahe scheinen, fast mehr zufällig gerade geläufige Verfassungsnamen“. Daß
eine analoge Charakterisierung auch für die gute Ordnung gilt, hebt Voegelin
[1957] 70 hervor: “If Plato’s evocation of a paradigm of right order is interpre-
ted as a philosopher’s opinion about politics, the result will be hopeless non-
sense, not worth a word of debate”. Deutlicher wird Bigger [1968] 86 Anm.33:
“What is meant in this particular case is that such terms as “aristocracy’, ‘de-
mocracy’, and the like do not have the sense given them by Aristotle and later
political philosophers and scientists; they do not exhibit a constitutional form.
The failure to observe this has been too common among political thinkers
atc.”. Schließlich merkt Gehrke [1985b] an, in der ‘Politeia’ sei „schon die
Beschreibung der Verfassungen und ihrer Charakteristika selbst so auf die vom
philosophischen System geforderten Ergebnisse (zumal noch in der Parallelisie-
rung mit der Psychologie) hin konzipiert, daß sie in ihre genialen Einseitigkeit
schon als Deskription untauglich ist“ (139 Anm.26). Dieser Aussage des Histo-
rikers kann man nur zustimmen. — An sich ist also längst bekannt, daß die
Verfassungsnamen in der ‘Politeia’ zu etwas stilisiert werden, was der üblichen
Vorstellung von Verfassungen nicht mehr entspricht (vgl. auch die Überblicke
dei Hellwig [1980] 1-8; Lisi [1985] 297f.); diese Einsicht wird jedoch auch