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IV. Die Analogie zwischen Polis und Seele
An beiden Stellen geht es also zunächst um den Nachweis einer
zahlenmäßigen Übereinstimmung, im Grunde aber darum, die An-
wendbarkeit des Analogieverfahrens zu sichern. Es ist klar, daß
der Schluß von der Polis auf die Seele durch die Behauptung ge-
stützt wird, die Eigenschaften der Polis seien auf seelische Eigen-
schaften zurückzuführen.°®1 Das Faktum, daß politische Ordnungen
auch zahlreiche Eigenschaften besitzen, die sich keineswegs allein
aus Eigenschaften ihrer Bürger ergeben,°%? bleibt dem Argument
zuliebe außer Betracht.
{. Der Einfluß der Polis auf die Seele
Damit sind zwei wichtige Beziehungen zwischen Polis und Seele
genannt: Aus Eigenschaften der Polis werden Eigenschaften der
Seele erschlossen, und die Eigenschaften der Polis werden auf Ei-
genschaften ihrer Bewohner zurückgeführt. Hinzu kommt eine
dritte Beziehung: Die Polis beeinflußt die Seele der Menschen,
die in ihr leben.
581 Reeve [1988} 259 dreht die Kausalität, die sich aus Fragestellung und
Beweisziel der ‘Politeia’ ergibt, um, wenn er sagt, die fünf in der “Politeia’
vorgeführten Ordnungen stützten die Richtigkeit von 544d6-e6.
582 Eigenschaften politischer Ordnungen wie die, stabil zu sein oder ihren
Bürgern gleiche Rechte einzuräumen, gehen nicht allein auf Eigenschaften ih-
rer Bürger zurück, sondern z.B. auch auf rechtliche und institutionelle Fakto-
ren. Der logische Sachverhalt, daß Eigenschaften von Kollektiven sich keines-
wegs immer aus Eigenschaften ihrer Bestandteile erklären lassen, ist Platon
bekannt (Hp.Ma.300 b 4-302 b 4). Vgl. oben Anm.421; ferner etwa Kirchmann
(in: Schleiermacher [1870] 355 Anm.205); Barker [1918] 286 Anm.1:; Williams
[1973] 197; Brown [19831] 42; anders Joly [1956] 77.
583 Noch zwei weitere Beziehungen zwischen Polis und Seele entdeckt An-
dersson [1971] 21-26, der folgendes Schema bietet (23):
A Polis illustrates man Man makes polis B
Thought Thought
sunning running
from polis from psyche
to psyche to polis
C Polis makes man / Man illustrates polis D
Andersson scheint jedoch der Versuchung erlegen zu sein, eine Systematik zu
konstruieren, die in der ‘Politeia’ nicht zu finden ist. Seine einprägsame UÜber-
sicht, in der die beiden oben genannten Beziehungen als A und B auftauchen,