Einleitung
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In Zusammenhang mit dem Analogieverfahren steht auch die
Konzeption der Seeleninstanzen, die in Kap. V analysiert wird. Die
Seeleninstanzen sind Fähigkeiten, vor allem aber, wie bereits die
seelischen : Entitäten der alten Epik, Triebkräfte, deren ‚Herr-
schaft‘ in der ‘Politeia’ allerdings für das Vorherrschen persistenter
Lebensziele und Glückskonzeptionen steht, die mit den Seelenin-
stanzen als fest verbunden gedacht sind. Eine ganz andere Rolle,
als ihr in zahlreichen Arbeiten zu ‚Platons Psychologie‘ beigemes-
sen wird (Akrasie-Problem), spielt aus Sicht einer funktionalen
Deutung, die Kontexte und argumentative Intentionen mitbedenkt,
hingegen die in der “Politeia’ singuläre Behandlung motivationalen
Konflikts in Buch IV. Auch sonst ist die sogenannte ‚Psychologie‘
der ‘Politeia’ offenbar in erheblichem Maße funktional und keines-
wegs auf innere Kohärenz, sondern auf die jeweiligen argumenta-
tiven Belange des Gesprächs ausgerichtet.
Hinter der ‘Politeia’ steht, wie die in den Kapiteln I-V behandel-
ten Befunde zeigen, eine planvolle Regie des Autors, die inhaltli-
che und darstellerische Überlegungen in gelungener Weise kombi-
niert. Bestimmte Aspekte dieser Regie werden in Kap. VI themati-
siert. Zur Sprache kommen dabei einerseits Orientierungshilfen,
die der Autor dem Leser seines langen und komplizierten Dialogs
regelmäßig zukommen 1äßt, andererseits bestimmte Techniken der
Gesprächslenkung, die offensichtlich darauf abzielen, einen über-
sichtlichen Gesprächsverlauf zu wahren, ohne den fingierten Ge-
sprächscharakter aufgeben zu müssen. Dabei werden auch persua-
sive Techniken eingesetzt, was eine Reihe weiterer Fragen auf-
wirft, unter anderem die Frage nach der Legitimität von Täu-
schung und nach Platons Absichten gegenüber dem Leser.
Die in der Politeia’ gestaltete Gesprächsführung folgt, wie diese
Arbeit zu belegen und zu verdeutlichen sucht, einem vielschichti-
gen Kalkül des Autors, das sachliche, argumentative und darstel-
lerische Gesichtspunkte kombiniert. Keineswegs sind also die Ge-
sprächsbeiträge bestimmter Dialogfiguren einfach als lehrhafte
Mitteilungen des Autors zu verstehen; die literarische Sachlage ist
erheblich komplexer, als ihr diese simplifizierende Deutung unter-
stellt.