Full text: Dialogform und Argument

A. Die Konzeption der Seeleninstanzen 
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hergehen müsse. ®? Beide Annahmen finden jedoch in Platons Text 
keine Stütze: Nirgendwo wird die Ausrichtung des Lebens an Zie- 
len wie Ruhm, Reichtum, Freiheit oder Macht als rationale Pla- 
nung umschrieben,°°3 und nirgendwo wird angezeigt, daß die ver- 
nünftige Instanz herrschen oder auch nur überlegen sein müsse, 
damit dem Menschen ihre Fähigkeiten zu Gebote stehen. ®* 
Ganz offensichtlich hat Platons Sokrates gar nicht daran ge- 
dacht, die Konzeptionen 2a und 2b systematisch miteinander ver- 
binden zu wollen:°5° vielmehr dient 2a der Einführung der Seelen- 
652 Bestimmte Ausnahmen von dieser Regel läßt Klosko 354 Anm.16 gelten 
(z.B. Kinder; evtl. auch der tyrannische Mensch). 
653 Klosko hat sich hier vielleicht durch den Terminus ‚Lebensplan‘ irrefüh- 
en lassen (“plans of life”: 345 u.ö.), der aus Vorgängerarbeiten stammt. (etwa 
{rwin [1977] 227). Für die Konzeption, daß “the normatively ruling passion ex- 
arcises direct rule by formulating a plan of life and then imposing it upon the 
other parts” (347), enthält die “Politeia’ keinen Beleg. Nach Passagen wie 
581a3-b11 u.a. entwerfen die herrschenden Seeleninstanzen (mit Ausnahme 
der Vernunft) keineswegs bewußte Pläne, die systematisch verfolgt werden, 
sondern sie folgen einfach ihrem Verlangen nach Genuß. Damit ist konsistentes 
Verhalten über längere Zeit ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen. 
Auch ;ohne Einhaltung eines Lebensplans und “direct rule” der Vernunft können 
z.B. Tiere in konsequenter und vorhersagbarer Weise ihren Trieben folgen. 
654 Kloskos Behauptung beruht, wie mir scheint, u.a. auf Fehldeutung von 
553b7-d7. Dort versklavt das triebhafte Element die beiden anderen und 
zwingt die vernünftige Instanz, nichts anderes mehr zu prüfen als Wege der 
Geldvermehrung. Es scheint mir evident, daß sich das Triebhafte dort der Fä- 
higkeiten der vernünftigen Instanz (als eines Werkzeugs) bedienen und daher 
selbst ‚rational‘ agieren kann. Die Versklavung betrifft das Faktum, daß das 
vernünftige Element nicht mehr als eigenständiger Antrieb des Menschen fun- 
gieren darf. — Klosko unterscheidet nicht zwischen Fähigkeiten und Antrieben 
und muß daher ‘direct rule’ in fast paradoxer Weise konzipieren, wie z.B. sein 
Schlußsatz erkennen läßt (353): “As we have seen throughout this paper, both 
in the way it rules (directly) in the soul and in the opinions that it holds, cal- 
culative reason is ‘only the slave’ of the normatively ruling passion”. Belege 
für ‘direct rule’ eines versklavten Antriebs gibt es im platonischen Dialog je- 
doch meines Wissens nicht. 
655 Die Frage, wie sich ‘normative rule’ von Seeleninstanz x bei einzelnen 
Handlungen auswirkt, wird in der ‘Politeia’ weder explizit gestellt noch, soweit 
ich sehe, implizit aufgeworfen. Am einfachsten wäre wohl die Antwort, daß 
die jeweils herrschende Seeleninstanz, die sich der planerischen Fähigkeiten 
der vernünftigen Instanz in jedem Fall bedienen kann, sich im allgemeinen 
auch bei einzelnen Handlungsentscheidungen durchsetzt. — Daß es dabei zu 
Spannungen kommt, wie sie im Gedankenexperiment Kraut [1973b] 212 auf- 
weist (etwa: das OuuwoeLötg muß seine momentane Streitlust unterdrücken, um
	        
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