Full text: Dialogform und Argument

Kapitel M: 
Platonische Dialoggestaltung 
Hinter der ‘Politeia’ steht, wie es scheint, ein vielschichtiges Kal- 
kül des Autors, das darauf abzielt, einer ganzen Reihe sachlicher, 
argumentativer und darstellerischer Erfordernisse gerecht zu wer- 
den.®%% Platon meistert diese Aufgabe, deren Komplexität bisher 
kaum auch nur bemerkt scheint, mit bewundernswerter Souveräni- 
tät. Im folgenden richte ich das Augenmerk auf einige interes- 
sante und bisher offenbar weitgehend unbeachtete Aspekte dieser 
Regie. 
Ich gehe aus von dem Befund, daß das angeblich spontan impro- 
visierte Argument des Sokrates stringent und zielgerichtet ent- 
wickelt wird. Daraus ergibt sich eine bemerkenswert übersichtli- 
che Anlage des langen und komplizierten Beweisgangs.®! Zudem 
bietet Platon seinem Leser immer wieder Orientierungshilfen und 
Informationen über den planvollen Verlauf des Gesprächs (A). Da- 
mit stellt sich die Frage, wie bei einem Gespräch von derartigen 
Ausmaßen ein planvoller Verlauf möglich ist, bzw., wie Platon 
590 Vgl. etwa oben S.104f. und S.130 f. 
591 Das sokratische Argument ist, wie durch 544 a2-8 und 545a2-b1 offen- 
gelegt, dreiteilig aufgebaut: Zunächst wird die vollendet gerechte Ordnung in 
Polis und Seele dargestellt (Bücher II-VII), dann schrittweise die vollendet un- 
gerechte Ordnung hergeleitet (Bücher VIII-IX, 576 b 10); schließlich werden der 
vollendet gerechte und der vollendet ungerechte Mensch hinsichtlich ihres 
Glücks verglichen (Buch IX, 576b11-588 a11). Das Gesprächsziel wird also 
nicht zufällig und nach mancherlei Irrwegen, sondern planvoll erreicht. — Der 
übersichtlichen Gliederung im großen entspricht eine übersichtliche Gliederung 
vieler einzelner Gesprächsabschnitte, etwa nach dem durch das Analogiever- 
fahren nahegelegten Schema ‚Polis —& Seele‘: Diesem Schema folgt z.B. die 
Bestimmung und Lokalisierung der vier Tugenden (in der Polis: 427c 6-434d1; 
in der Seele: 434d2-444a9) sowie die gesamte Behandlung der vier schlech- 
ten Ordnungen in den Büchern VIII-IX (timokratische Polis: (545c 8-548dS; 
timokratischer Mensch: 548 d6-550c3; oligarchische Polis: 550c4-553a2; 
oligarchischer Mensch: 553a3-555b2; demokratische Polis: 555b3-558c7; 
demokratischer Mensch: 558c8-561a3; tyrannische Polis: 562a4-569c 8; 
tyrannischer Mensch: 571a1-576 b 10}.
	        
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