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VI. Platonische Dialoggestaltung
lung erinnert und erfährt, welchen Stellenwert und welche Funk-
tion Platons Figuren zurück- oder vorausliegenden Gesprächsab-
schnitten im Ganzen des Dialogs zuschreiben. °®?
Das offenkundige Bemühen des Autors, den argumentativen Kon-
text und die Funktion der von seinen Figuren getroffenen Aussa-
gen immer wieder hervortreten zu lassen, ist umso bemerkenswer-
ter, als zahlreiche Interpretationen und Analysen der ‘Politeia
(und anderer platonischer Texte) gerade auf dem Verfahren basie-
ren, Aussagen aus ihrem funktionalen Zusammenhang herauszulö-
sen und als frei verschiebbare Bausteine zur Konstruktion ver-
meintlich platonischer Theorien zu verwenden.’® Wie es scheint,
ist dieses Verfahren nicht nur methodisch fragwürdig, sondern wi-
derspricht auch dem, was Platon von seinem Leser erwartet. 791
B. Gesprächslenkung
Anders als der Verfasser einer monologischen Schrift, etwa einer
Rede oder Abhandlung, stellt der Autor eines Dialogs die Disposi-
tion eines Textes nicht direkt und im eigenen Namen her, sondern
verwirklicht sie indirekt im Medium eines von ihm gestalteten Ge-
sprächs zwischen seinen Figuren. Wenn dieses Gespräch glaub-
würdig wirken soll, muß allerdings der Charakter wirklicher Ge-
spräche wenigstens bis zu einem gewissen Grad gewahrt bleiben.
Echte Gespräche, "d.h. Gespräche unter gleichberechtigten Pärt-
nern und ohne ritualisierte Abläufe, verlaufen selten vollkommen
699 Beispiele in der “Politeia’: 357b4-368c7 (bes. 367a8-e5).
368c77369b4. 371e9-372a4. 372d4-28. 374e4-375a1. 376c4-e7.
392c6-78. 399e5-6. 403c4-10. 412b2-c1. 414a4-c2. 427c6-428 a10.
43442-435d 9. 4442 7-449b2. 450c2-451c3. 457b7-458b8. 461e5-462a1.
471c4-473b9. 473c6-7. 545c8-9. d5-7. 547a4-5. c5. c9. S48c 9-10.
548 d6-7. 549b9-c2. 550b8-d5. 551b7-c1. 552e9-553a5. 553e1-554a1
555b3-7. 557a6-b3, 558c3-10. 558d8-10. 559d4-5. 561a1-5. 562a1-3.
566d5-7. S69a6-9. 571a1-4. 573c11-12. 576b7-c5. 577c1. S80a9-d6.
583b1-c2. 588b1-8. 612a8-e1; vergleichbare Stellen finden sich in vielen
anderen Dialogen. Auch von Platon inszenierte Mißverständnisse oder Rückfra-
gen des Partners bieten Gelegenheit zu verdeutlichender Erläuterung: E.
Heitsch, Hermes 120, 1992, 169f.
700 Vgl. die Einleitung (speziell S.9-12).
701 In diesem Sinne auch Schubert: vgl. oben Anm. 697.