Full text: Dialogform und Argument

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VI. Platonische Dialoggestaltung 
Die Einteilung in einen oligarchischen, einen demokratischen und 
einen tyrannischen Menschen ist also nicht wirklich aus der von 
Sokrates präsentierten Einteilung der Triebe gewonnen, sondern 
diese Einteilung wird passend fingiert, weil die Zuordnung dreier 
unterschiedlicher Lebensziele zu der einen seelischen Instanz 
&rıduLnNtLKXÖV Sowohl argumentativer Rechtfertigung als auch psy- 
chologischer Fundierung bedarf, um nicht naheliegenden Einwän- 
den ausgesetzt zu sein. Ob die Einteilung in notwendige, nicht- 
notwendige und abnorme Triebe für sich genommen Bestandteil ei- 
ner platonischen Seelentheorie war, läßt sich ohne Spekulation 
nicht entscheiden. In unserer ‘Politeia’ jedenfalls ist sie offen- 
sichtlich Mittel zum Zweck. 
C. Persuasive Techniken 
Das sokratische Gespräch ist, wie im letzten Abschnitt ausge- 
führt, virtuell bei jedem einzelnen Schritt auf den Konsens der 
Partner angewiesen, und dieser Konsens muß in den Augen des 
Lesers glaubwürdig bleiben. Setzungen, die weder trivial noch 
selbstverständlich, und erst recht solche, die zudem noch proble- 
matisch sind, müssen also entweder verdeckt erfolgen oder argu- 
mentativ gestützt werden. Was die argumentative Absicherung an- 
belangt, trägt Platon, wie die oben (in Abschnitt B ad fin.) ange- 
führten Beispiele zeigen, offensichtlich keine Bedenken, seinen 
Sokrates auch passend improvisierte Argumente verwenden zu las- 
sen, die nur in dem Kontext Gültigkeit besitzen, für den sie ge- 
schaffen sind;’% daß solche Argumente nichts über die philosophi- 
schen Überzeugungen des Autors aussagen, sollte klar sein.?% Of- 
790 Im Einzelfall kann für den Befund, daß Argumente und Aussagen nur in 
bestimmten Abschnitten der ‘Politeia’ gelten, auch eine genetische Erklärung 
naheliegen, Das Gesamtphänomen ist in der ‘Politeia’ jedoch zu verbreitet und 
Unvereinbarkeiten begegnen auf zu engem Raum, um mit Überarbeitungsvor- 
gängen oder der Annahme, Platon habe zwischenzeitlich seine philosophischen 
Überzeugungen geändert, erklärt werden zu können. 
"9 Wenn selbst innerhalb des Dialogs nachweislich Argumente verwendet 
werden, die nur in ihrem Kontext gelten, liegt die Vermutung sehr nahe, daß 
sich auch vieldiskutierten Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Dialogen 
auf analoge Weise erklären. Wenn miteinander schwer verträgliche politische 
Aussagen in “‘Politeia’ und ‘Nomoi’ oder zueinander inkompatible Äußerungen
	        
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