B. Auswahl und Rangfolge (543 c 4-545c7)
{3
3) Gegen die’ sokratische Auswahl wären an sich drei Bedenken
möglich: a) Sie könnte unvollständig sein und andere, nicht min-
der wichtige Verfassungstypen außer acht lassen; b) sie könnte zu
umfassend sein und Ordnungen enthalten, die nicht wirklich als
Typen gelten können; c) sie könnte sachlich unkorrekt sein und
die falschen Verfassungen berücksichtigen. Es ist sehr vorteilhaft
für Sokrates, daß die Vierzahl als solche bereits in Buch IV ein-
geführt wurde und hier längst als selbstverständlich gilt (wie
544a3, bl und b10 zeigen), denn damit scheinen die Bedenken a
und b, die implizieren, es könne auch mehr oder weniger als die
vier genannten Typen geben, als gegenstandslos auszuscheiden.
Womit die Möglichkeiten, an der Auswahl Kritik zu üben, deutlich
reduziert sind. — Es erscheint nicht abwegig, hier ein Motiv für
die auffällige Gestaltung zu vermuten, daß die Einführung der
Vierzahl und die Einführung der vier Namen auf zwei weit ausein-
anderliegende Partien der Politeia’ verteilt werden. ?°%
4) Und das:noch mögliche Bedenken c, die Auswahl könnte in
einem oder mehreren Punkten unrichtig sein, wird durch die For-
mulierung der angeblichen Nachfrage in den Hintergrund gedrängt.
Indem Sokrates danach fragt, ob seine Aufzählung ergänzt werden
könnte (544c8 % tıvya Xihnv Eyeıc LSEav molıtelag xtA.), lenkt
er von der keineswegs weniger naheliegenden Frage ab, ob und
inwieweit sie überhaupt einleuchtet.
‚Hinter dieser bemerkenswerten Gestaltung steht ganz offensicht-
lich die Bemühung, die genannte Auswahl so einleuchtend und
suggestiv wie möglich erscheinen zu lassen. Daß man bei genaue-
rem Zusehen möglicherweise noch andere Verfassungstypen hätte
finden können, habe ich bereits angedeutet. Wichtiger noch ist
die Tatsache, daß eine der vier Ordnungen nach griechischem
Verständnis gar kein eigenständiger Verfassungstypus ist. Es han-
delt sich um die kretische und lakonische Ordnung.
Traditionell war in der griechischen Verfassungsdebatte (bei un-
einheitlicher Terminologie) der Sache nach eine Dreiteilung in
unbeantwortet. Soll auch der Leser sich hier einfach zufriedengeben? Vgl.
5.284-288.
206 Vgl. oben S.48 mit Anm.113. — Die Frage ist, wie schon gesagt, von
genetischen Theorien unabhängig, denn: man hätte den Exkurs auch bereits
hinter 445b 8 einsetzen lassen können; im übrigen konnte der Autor bei nach-
träglichen Erweiterungen die Anschlußstücke ändern.