Full text: "Nur deshalb sind dem Tode wir entronnen, damit wir an dem Frieden bau'n"

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Ob im Gestapogefängnis in Potsdam, im Polizeipräsidium Berlin, im Frauen 
gefängnis in der Barnimstraße, im KZ Ravensbrück, in den Zuchthäusern 
Cottbus und Jauer, überall trafen wir Kameradinnen, die an derselben 
großen illegalen Organisation mitgearbeitet hatten. Ein festes unzerreiß 
bares Bündnis schmiedete uns zusammen —- über das enge Zellenleben 
hinaus bis in den Tod. In jeder Woche bangten wir alle vor dem Freitag, 
der neue Opfer für das Schafott in Plötzensee forderte. Unser Informations 
dienst arbeitete fieberhaft. Kontrollen und Aufsichten konnten es nicht 
verhindern, daß die Kameradinnen unsere letzten Grüße erhielten und wir 
alle um ihre Todesstunde wußten. An solchen Tagen, an denen wieder das 
Fiaupt einer tapferen Frau fiel, die um ihrer und aller Kinder willen den 
Kampf für den Frieden mit dem Einsatz des eigenen Lebens bezahlte, war es 
in unseren Zellen still vor verhaltener Wut und Ohnmacht. Aber ein starkes 
Gelöbnis wuchs in unseren Herzen: Wenn wir das alles überleben, werden 
wir mit doppelter Kraft uns einsetzen für die höchsten Ziele der Menschheit, 
für die sie starben. 
Der letzte Brief unserer lieben Judith Auer an ihr fünfzehnjähriges 
Töchterlein soll als Dokument schönster und reinster Mutterliebe gleichzeitig 
sprechen für alle Frauen, die wie sie den schweren Weg zur Richtstätte 
gingen mit den gleichen Gedanken: 
Berlin-Plötzensee, den 27. Oktober 1944 
Königsdamm 7. 
Meine geliebte kleine Tochter! 
Meine liebe kleine, beste Kameradin! 
Ich habe den Wunsch, Dir noch einiges besonders ans Herz zu legen. Zu 
nächst Dein Beruf. Du möditest Kindergärtnerin werden. Ich billige Deinen 
Wunsch von ganzem Herzen. Aber denke dabei stets an Deine eigenen 
Erfahrungen, mein Liebes, und vergiß manchmal, was Du gelernt hast, was 
Dir beigebracht wurde. Vor allem laß Dich stets von der Liebe leiten. Die 
Fehler, die man aus wahrer Liebe begeht, sind niemals Sünden, sondern 
immer wieder gutzumachende Irrtümer. Urteile nie vom Standpunkt der 
Envachsenen, sondern versuche stets in die Kinderseele einzudringen. Du 
wirst schon begreifen, was ich meine, wenn heute noch nicht, so doch, wenn 
Du einmal reifer bist. 
Du mußt nun einen großen Schmerz tragen. Vergrab Dich nicht darin. 
All die Freude, die ich Dir nicht mehr bereiten kann, mein Liebling, ver- 
¥?..L an deren, z. B. Deinen kleinen Schützlingen zukommen zu lassen. 
Die Freude, die man anderen bereitet, strahlt stets auf einen selbst zurück. 
,,Lieude, schöner Götterfunken...“ ist Beethovens schönstes Werk. I nd 
doch schrieb er es in einer Zeit, da er sehr elend war. Lies einmal über 
sein Leben nach. 
Ich muß jetzt Schluß machen. Bleib stark und tapfer, mein Geliebtes. Ich 
'i'u 1 ri ^ 11 niemals verlassen sein. Grüß alle Lieben. 
sc ist werde alles mit innerer Ruhe und Gefaßtheit ertragen. 
Lebe wohl und sei noch einmal in Gedanken, aber lieb geküßt und um- 
armt von Deiner Mutti. 
Die zuversichtliche Gewißheit: „Ich weiß, Du wirst niemals verlassen sein , 
or er von uns überlebenden Verantwortung für die Sicherung einer fried- 
hchen Zukunft dieser vater- und mutterlosen Kinder, bedeutet unermüdlicher 
Nampt für den Frieden.
	        
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