AUFRUF DER ZURÜCKGEKEHRTEN KZ-GEFANGENEN
Von Frieda Le.hmann
Ich will zu Euch sprechen, wie keiner gesprochen,
seit sich mir gebar unter brühendem Mord,
der mit Unmenschlichkeit alles zerbrochen,
das reine und liebende menschliche Wort.
Nie soll mehr verstummen aus strömendem Munde
die Mahnung, welch Grauen einst wirklich war;
es soll sich verwandeln in lauterste Kunde,
was in der Hölle uns ward offenbar.
Nicht viele von uns sind den Qualen entkommen,
wir haben das gleiche im Grabe erlebt,
letzte Erkenntnisse in uns erglommen,
und eine Aufgabe jetzt uns erhebt.
Der Mord erst hat uns offenbart das Leben,
das Böse lehrte erst den Sinn des Guten,
daß uns das Herz barst vordem Schrei nach Gott,.
dem wahren Sein und allem Absoluten,
nach Wahrheit, Liebe in der höchsten Not
und nach Gerechtigkeit und ewgem Frieden.
Wir können nun der Welt des Friedens Worte sagen,
den in des Todes Armen wir erstrebt,
wie Fackeln sein, die man .erhebt,
um sie den Irrenden voranzutragen,
die in dem Dunkel nicht zu suchen wagen,
weil noch die Angst an ihren Füßen klebt.
Wir sind es, die den Sinn des Lebens wissen,
den wir den Todesnähen abgerungen,
der Menschheit Fahnen, in den Sturm gerissen,
nun wieder sammelnd aus den Opferungen;
ihr Tuch ist nicht vom Kampf der Zeit zerschlissen,
weil es vom Blut der Leidenden durchdrungen.
O, Schwestern, laßt uns um die Eintracht ringen,
nachdem die Feuerprobe wir bestanden,
und unsrer Läut'rung Licht nun allen bringen,
das hinter Kerkermauern einst wir fanden.
Jetzt wissen viele erst um Menschlichkeit,
seit die Unmenschlichkeit sie fast vernichtet;
und etwas tief in uns nach Güte schreit,
nach Liebe, die nicht sondert mehr und richtet.
Wir können nicht mehr schweigen nur und warten,
wir wollen kämpfen für den Fortschritt bis zum Tod,
wir wollen Leben säen in den Garten
der Menschheit, ohne daß sie Mord bedroht.
Nie dürfen mehr jetzt unsre Stimmen schweigen,
sie müssen rufend durch die Lande gehn,
um den Verirrten ihren Weg zu zeigen,
damit sie von den Schatten auferstehn.
Nur deshalb sind dem Tode wir entronnen,
damit wir an dem Frieden baun!