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davon, daß die Fahne der Kaiserin eingezogen war, deutete nichts
in der Umgebung des Palais auf die Veränderung der Verhält
nisse. Die Kaiserin blieb auch bis zu ihrer Uebersiedelung zum
Prinzen Eitel-Friedrich nach der Villa Jugenheim inPoksdam.wo sie bis
zur Abreise nach Lolland am 27. November verblieb, völlig unbehelligt.
Mitteilungen über Belästigungen und Roheiten, denen sie angeblich
im Berliner Schloß durch Matrosen ausgesetzt gewesen sein soll,
sind falsch.
Am Montag, den 18. November, unterbrach ich meine Arbeit
im Neuen Palais, um zu versuchen, in das Schloß zu gelangen
und mich dort von dem Stand der Dinge zu unterrichten. Be
sonders kam es mir darauf an, festzustellen, ob die Büchereien
unter den Plünderungen und Verwüstungen gelitten hätten. Es
handelte sich dabei einmal um die in den Wohnräumen der
Majestäten untergebrachten Büchersammlungen und zweitens um
die an der Spreeseite gelegene Königliche Lausbibliothek. Das
Schloß war nur durch Portal II vom Schloßplatz aus zugänglich.
Fünf bis sechs rauchende Matrosen in nachlässiger Laltung und
Kleidung hielten hier Wache. Nach meinem Begehr gefragt,
äußerte ich meinen Wunsch, zum Kommandanten oder zu irgend
einer Person geführt zu werden, die es mir ermöglichte, durch die
kaiserliche Wohnung zu gehen. Ein Posten begleitete mich in die
links vom Portal im Erdgeschoß gelegene Archivwohnung. Dort
saßen und lagen in den einzelnen Räumen rauchende oder schlafende
Matrosen. Es war scheinbar eine Art Dienststelle der Ordonnanzen.
Man gab mir eine Ordonnanz mit. Sie führte mich über die
Marmortreppe zur bisherigen Wohnung der Oberhosmeisterin
Gräfin Brockdorff. Die sonst mit schweren Teppichen belegte
Treppe, deren Seitenwände mit Lohenzollernporträts und Bildern
aus der preußischen Geschichte geschmückt sind, war unbeschreiblich
schmutzig und von den benagelten Soldatenstiefeln arg mitgenommen;
Marmorsiücke waren herausgeschlagen. Im Lakaienzimmer der
Oberhofmeislerin saßen eng zusammengepfercht mehrere Matrosen
an einem Tisch. Ich nannte meinen Namen und trug mein An
liegen vor. Man antwortete unfreundlich, barsch und zunächst ab
lehnend. »Ach was, Ihre Bücher wird Ihnen niemand genommen
haben. Ilebrigens können Sie uns für unsere Wachstuben Bücher
zur Verfügung stellen." Ich erwiderte, daß mir ein Verfügungs
recht über die Büchereien, die ich ansehen wolle, nicht zustünde.
Sie seien Eigentum des Kaisers und der Kaiserin. Welche Funktion
die hier einquartierten Matrosen zu erfüllen hatten, weiß ich nicht.
Man gab mir schließlich einen elend und heruntergekommen aus
sehenden Mann in einer schlecht sitzenden Infanterie-Uniform mit,
der mich zum Kommandanten führen sollte. Er machte im Gegen
satz zu allen Leuten, die ich bisher gesprochen hatte, einen ruhigen
Eindruck und sprach verständig. Scheinbar hatte er sich nur, um