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Leutnants-Leben
genommen, <L h. das von dem Angeklagten bereits Unterschriebene
vorgelesen. Der Auditeur zog dann die betreffende Gesetzesstelle an
und sprach sein Gutachten über die höchste und niedrigste Straf
grenze aus. Die Offiziere blieben im Zimmer und jede Charge beriet
sich für sich, während die anderen Beisitzer zu demselben Ende vor
die Tür geschickt wurden. Zuerst hörte man die Gefreiten, zuletzt die
Hauptleute, jede Charge hatte nur eine Stimme; bei Stimmengleich
heit entschied der Präses,
Ich habe schon bemerkt, daß der Angeklagte keinen Verteidiger
hatte, also einer Rechtswohltat beraubt war, die jeder andere Staats
bürger genießen soll. Doch dies war nicht der einzige Uebelstand
dieser Militärgerichte; weit größere waren der Leichtsinn und die
Gleichgültigkeit, mit welcher die Richter dabei häufig verfuhren, und
vor allen Dingen der Einfluß, welcher von den höheren Chargen aus-
geübt wird. Der Eid wurde mit außerordentlicher Gleichgültigkeit
geleistet und das Urteil meist ebenso leichtsinnig ausgesprochen. Man
verließ sich auf den Auditeur, hörte nur obenhin zu, wenn er die
Sache auseinandersetzte, und merkte sich, welche Strafe er vor
schlug. Diesen Vorwurf des Leichtsinns mache ich hauptsächlich den
Offizieren, denn die Gemeinen und Unteroffiziere waren meistens sehr
aufmerksam, ihr Urteil verständig, und sie gedachten des Eides, den
sie geleistet hatten, gewöhnlich besser als die Offiziere.
Ich wohnte einem Kriegsgericht über einen Mann bei, welcher
dabei ertappt wurde, als er eben den Schrank eines Kameraden, den
er aufgebrochen, wieder zugemacht hatte. Er gestand ein, daß er aus
demselben eine Uhr genommen, aber Scham und Reue gefühlt und
sie wieder in den Kasten gelegt habe, wo sie sich in der Tat vorfand;
es fehlte auch sonst nichts darin. Der etwas närrische Auditeur hatte
die Sache ganz verkehrt aufgefaßt; allein seine Ansicht war auch die
des närrischen „Knubbel“, welcher dem Kriegsgericht präsiderte. Die
Gemeinen mußten zuerst ihre Stimme abgeben; es waren zufällig
Leute von meiner Kompanie, und zwar von den besten, die eigens zu
einem solchen Richteramt ausgewählt worden waren. Sie erkannten
auf die gelindeste Strafe gegen die Ansicht des Auditeurs und Präses.
Letzterer wurde wütend, fuhr die Leute an und sagte, „welche gemeine
Kanaillen" sie sein müßten, daß sie einem Diebe, einem Kerle, der
seinen Kameraden bestehlen wollte, die gelindeste Strafe zuerkennen
könnten. Die Leute motivierten ihr Urteil sehr vernünftig dadurch,
daß der Mann den Diebstahl nicht begangen, sondern Reue gefühlt
habe usw. Der Präses wurde jedoch noch heftiger, drohte den Leuten
und diese gaben gegen ihre bessere Ueberzeugung nach! Nun hielt
ich es jedoch für nötig, mich ins Mittel zu legen; ich nahm die Partei
der Soldaten, und als es zum Unterschreiben und Untersiegeln des
Urteils kam, verweigerte ich meine Unterschrift, womit ich gegen das