Full text: Ein Leben voller Abenteuer (1)

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Leutnants-Leben 
genommen, <L h. das von dem Angeklagten bereits Unterschriebene 
vorgelesen. Der Auditeur zog dann die betreffende Gesetzesstelle an 
und sprach sein Gutachten über die höchste und niedrigste Straf 
grenze aus. Die Offiziere blieben im Zimmer und jede Charge beriet 
sich für sich, während die anderen Beisitzer zu demselben Ende vor 
die Tür geschickt wurden. Zuerst hörte man die Gefreiten, zuletzt die 
Hauptleute, jede Charge hatte nur eine Stimme; bei Stimmengleich 
heit entschied der Präses, 
Ich habe schon bemerkt, daß der Angeklagte keinen Verteidiger 
hatte, also einer Rechtswohltat beraubt war, die jeder andere Staats 
bürger genießen soll. Doch dies war nicht der einzige Uebelstand 
dieser Militärgerichte; weit größere waren der Leichtsinn und die 
Gleichgültigkeit, mit welcher die Richter dabei häufig verfuhren, und 
vor allen Dingen der Einfluß, welcher von den höheren Chargen aus- 
geübt wird. Der Eid wurde mit außerordentlicher Gleichgültigkeit 
geleistet und das Urteil meist ebenso leichtsinnig ausgesprochen. Man 
verließ sich auf den Auditeur, hörte nur obenhin zu, wenn er die 
Sache auseinandersetzte, und merkte sich, welche Strafe er vor 
schlug. Diesen Vorwurf des Leichtsinns mache ich hauptsächlich den 
Offizieren, denn die Gemeinen und Unteroffiziere waren meistens sehr 
aufmerksam, ihr Urteil verständig, und sie gedachten des Eides, den 
sie geleistet hatten, gewöhnlich besser als die Offiziere. 
Ich wohnte einem Kriegsgericht über einen Mann bei, welcher 
dabei ertappt wurde, als er eben den Schrank eines Kameraden, den 
er aufgebrochen, wieder zugemacht hatte. Er gestand ein, daß er aus 
demselben eine Uhr genommen, aber Scham und Reue gefühlt und 
sie wieder in den Kasten gelegt habe, wo sie sich in der Tat vorfand; 
es fehlte auch sonst nichts darin. Der etwas närrische Auditeur hatte 
die Sache ganz verkehrt aufgefaßt; allein seine Ansicht war auch die 
des närrischen „Knubbel“, welcher dem Kriegsgericht präsiderte. Die 
Gemeinen mußten zuerst ihre Stimme abgeben; es waren zufällig 
Leute von meiner Kompanie, und zwar von den besten, die eigens zu 
einem solchen Richteramt ausgewählt worden waren. Sie erkannten 
auf die gelindeste Strafe gegen die Ansicht des Auditeurs und Präses. 
Letzterer wurde wütend, fuhr die Leute an und sagte, „welche gemeine 
Kanaillen" sie sein müßten, daß sie einem Diebe, einem Kerle, der 
seinen Kameraden bestehlen wollte, die gelindeste Strafe zuerkennen 
könnten. Die Leute motivierten ihr Urteil sehr vernünftig dadurch, 
daß der Mann den Diebstahl nicht begangen, sondern Reue gefühlt 
habe usw. Der Präses wurde jedoch noch heftiger, drohte den Leuten 
und diese gaben gegen ihre bessere Ueberzeugung nach! Nun hielt 
ich es jedoch für nötig, mich ins Mittel zu legen; ich nahm die Partei 
der Soldaten, und als es zum Unterschreiben und Untersiegeln des 
Urteils kam, verweigerte ich meine Unterschrift, womit ich gegen das
	        
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