Amerika
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diesem Gang gelangte man durch eine Türe rechter Hand in die beiden
Lesezimmer. Nur in einem derselben durfte geraucht werden. Ueberall
standen bequeme Sofas und Sessel, und die Plätze vor den bis zur
Erde reichenden Fenstern waren besonders gesucht. Vor denselben,
quer durch das ganze Zimmer, lief, etwa zwei Fuß über dem Fuß
boden, eine eiserne Stange. Die Leute, welche an diesen Fenstern
vorübergingen und in das Lesezimmer sahen, konnten sich an so und
so viel Paar Schuhsohlen satt sehen, welche auf der Eisenstange
ruhten, und an den dazu gehörigen Hosensitzen, denn der übrige
Teil der Zeitungsleser war durch die ungeheuren Zeitungen ver
deckt. Die Amerikaner halten es für äußerst bequem, so zu sitzen,
daß ihre Füße hoch liegen; sie sagen, daß man in dieser Stellung
am besten ausruhe. Suchte ich in einem Saal des Pariser Hotel du
Louvre amerikanische Freunde, so fand ich sie sehr schnell, denn
wo ein Paar Stiefel gen Himmel ragten, saß ein Aimerikaner.
Eine Türe auf der linken Seite führte in die „Bar“ und eine
andere in den Speisesaal. A.m Eingang des letzteren stand ein weißer
Engel, der die Billette für die Mahlzeiten abnahm. Diese Maßregel
war notwendig, denn da die aufwartenden Kellner nicht alle Gäste
des Hauses kennen konnten, so mochten sich gar viele umsonst ein
Mittagessen verschaffen. Gegen einzelne Umsonstesser würde man
nichts eingewendet haben, und war man im Hause bekannt und wollte
einen Bekannten sprechen, der gerade bei der Mahlzeit war, so gab
der Kommis im Comptoir ohne Umstände ein Eintrittsbillett.
Das Leben auf dem Vorplatz zu beobachten, war sehr interessant.
Es war dies zu jener bewegten Zeit die vornehmste Neuigkeitsbörse
von Washington und es wurden hier mehr Zeitungsenten ausgebrütet
als irgendwo anders. Hier versammelten sich nicht nur die männlichen
Gäste des Hauses, sondern alle fashionablen Bummler der Bundes
hauptstadt. Standesunterschiede spielten da keine Rolle; es bildete sich
kein Ehrfurchtskreis um irgend einen politischen oder militärischen
Stern erster Größe; hier war man demokratischer als sonst in der
Republik; die Hühneraugen des Ministers, Senators oder Generals
waren nicht sicherer als die des gemeinen Soldaten oder Handwerkers;
kein Portier hielt den Eintretenden auf, kein Kellner fragte nach
seinem Geschäft; ein Hotel ist ein öffentliches Gebäude, fast noch
mehr wie das Kapitol.
Der Hauptzudrang zu dieser Halle fand abends statt, besonders
wenn irgend welche wichtige Neuigkeit erwartet wurde; es war dann
so voll, daß man sich nur mit Mühe durchdrängen konnte. Damen
sah man in dieser Halle nie, doch war dicht an einem Eingang in der
Nebenstraße ein kleiner Salon, in welchem Damen warteten, die
irgend einen Herrn sprechen wollten; der eigentliche Dameneingang
war jedoch weit davon entfernt; jedes Hotel hat einen solchen ladies
entrance, und ein weißer Aufwärter bewacht ihn. Im ersten Stock