Full text: Der kleine Lord

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sie vollkommen eingeschüchtert — an Toben und Wüten 
darüber hat sie es natürlich nicht fehlen lassen, aber ein 
geschüchtert war sie doch. Der Graf wollte sie nicht empfan 
gen, hat mich aber dann auf meinen Wunsch in die „Dorin- 
court Arms" — Sie kennen ja den kleinen Gasthof —• begleitet, 
wo sie wohnt. Als sie ihn eintreten sah, ivurde sie leichen 
blaß, einen Augenblick später war sie freilich wieder im besten 
Zug, in einein Atem zu drohen und zu fordern." 
Allerdings war der Graf damals in seiner allerabwei 
sendsten, vornehmsten Haltung, wie ein alter Niese aus Königs 
geschlecht bei ihr eingetreten und hatte unter den weißen Augen 
brauen hervor die Person fixiert, ohne sie eines Wortes zu 
würdigen, wie man sich etiva eine seltsame, aber widerliche 
Naturerscheinung besieht. Ohne eine Silbe zu äußern, hatte 
er sic all' ihre Redensarten hervorsprudeln lassen und dann 
erwidert: „Sie behaupten, die Frau meines ältesten Sohnes 
zu sein. Wenn Sie dafür vollgültige Beweise vorlegen 
können, so haben Sie das Recht auf Ihrer Seite. In dem 
Falle ist Ihr Knabe Lord Fauntleroy. Daß die Sache 
gründlich geprüft werden wird, dessen dürfen Sie sich ver 
sichert halten, und wenn Ihre Ansprüche als berechtigt a^»- 
erkannt werden müssen, so soll für Sie gesorgt werdm. 
Sehen will ich weder Sie noch den Knaben, solange ich 
lebe — nach meinem Tode wird das Besitztum unglücklicher 
weise ihm anheimfallen." 
Damit drehte er ihr den Rücken und schritt stolz und 
gelassen hinaus, wie er hereingetreten war. 
Wenige Tage darauf wurde Mrs. Errol, die in ihrem 
kleinen Boudoir mit Schreiben beschäftigt war, ein Besuch 
gemeldet. Das Mädchen, welches die Anmeldung zu bestellen 
hatte, schien sehr aufgeregt zu sein, und die vor Verwunde 
rung ganz runden Augen des jungen Dinges sahen mit 
ängstlicher Teilnahme auf ihre Herrin. 
„Der Graf selbst ist's, gnädige Frau," sagte sie zum 
Tode erschrocken. 
Als Mrs. Errol ihr Wohnzimmer betrat, stand ein un 
gewöhnlich großer, imposanter alter Mann vor dem Kamine 
auf dem Tigerfell. Das scharfe, kühne Profil, der lange 
weiße Schnurrbart und ein Ausdruck von Eigenwillen fielen 
ihr zuerst in die Augen. 
„Mrs. Errol, soviel ich weiß?" sagte er. 
„Mrs. Errol," bestätigte sie.
	        
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