Full text: Der kleine Lord

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Das war rin Abend, als der Graf und Mr. Havisham, 
die Briefe vor sich, in der Bibliothek saßen und ihre weiteren 
Pläne besprachen! 
„Bon der dritten Unterredung an," sagte Mr. Havi 
sham, „war mir die Person in hohem Maße verdächtig. Das 
Kind schien mir älter zu sein, als sie angab, und sie irrte sich 
plötzlich einmal in der Jahreszahl seiner Geburt und versuchte 
dann, die Sache wieder zu vertuschen. Verschiedene Ver 
dachtsmomente, die nrir aufgestoßen waren, stinrmen genau zu 
der in diesen Briefen erzählten Geschichte. Das Beste rst 
jedenfalls, diese beiden Tiptons telegraphisch zu benachrich 
tigen, daß sie sofort herüberkommen sollen, sie darf keine 
Ahnung davon haben und muß gänzlich unvorbereitet mit 
ihnen konfrontiert werden. Bei Licht betrachtet, ist sie eine 
ziemlich armselige Intrigantin und wird höchst wahrscheinlich 
die Geistesgegenwart verlieren und sich sofort verraten." 
Und so geschah es. Mr. Havisham setzte, um sie keinen 
Verdacht schöpfen zu lassen, seine Unterredungen mit der 
Prätendentin in der bisherigen Weise fort und versicherte sie, 
daß er eifrig damit beschäftigt sei, die Berechtigung ihrer 
Ansprüche gesetzlich prüfen und feststellen zu lassen, so daß 
ihr der Kamm außerordentlich schwoll und sie im Gefühl der 
Sicherheit jeden Tag anmaßender und kecker wurde. 
Eines schönen Morgens, als sie, Zukunftsträumen nach 
hängend, in ihrem kleinen Wohnzimmer in dem einfachen 
Gasthause saß, ward Mr. Havisham bei ihr gemeldet: als er 
aber auf ihren Wunsch eintrat, folgten ihm nicht weniger als 
drei unangemeldete Besucher, der erste ein pfiffig dreinschauender 
halbwüchsiger Junge, dann ein hochgewachsener, breitschulte 
riger junger Mann und schließlich Seine Herrlichkeit der Graf 
in eigner Person. 
Sie sprang auf und stieß einen gellenden Schreckens 
schrei aus — sie hatte weder Zeit noch Kraft, einen solchen 
zu unterdrücken. Seit Jahren hatte sie der beiden, die da 
hereintraten, höchstens hier und da einmal flüchtig gedacht, 
und wenn sie es gethan, so hatten ihre Gedanken ein Welt 
meer und viele Tausende von Meilen zwischen sie und jene 
gelegt — die Möglichkeit eines Wiedersehens war ihr nie in 
den Sinn gekommen. 
„Hallo, Minna!" sagte Dick, dessen Manieren leider 
nicht so vollendet waren, um in des Grafen erlauchter Gegen 
wart ein Grinsen zu vermeiden.
	        
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