Full text: Der kleine Lord

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hören, und deshalb sprach auch er nie anders mit ihr und 
von ihr; immer hatte er gesehen, daß sein Papa sie ängstlich 
behütete und für sie sorgte, und so lernte auch er ganz von 
selbst für sie sorgen. Und als er nun wußte, daß sein Papa 
nicht wiederkommen werde, und sah, wie traurig sie war, 
da entstand unbewußt in seinem kleinen Herzen das Gefühl, 
daß er nun alles thun müsse, um sie glücklich zu machen. 
Er war ja noch ein kleines Kind, aber dies Gefühl lebte in 
ihm, wenn er auf ihre Kniee kletterte und sie küßte und sein 
lockiges Köpfchen an ihre Wange drückte, oder wenn er ihr 
sein Spielzeug und seine Bilderbücher zum Ansehen brachte 
oder sich schweigend und regungslos neben sie kauerte, wenn 
sie auf dem Sofa lag. 
Er war noch nicht alt genug, um andre Trostesmittel 
zu finden, aber er that sein Bestes, und er selbst hatte keine 
Vorstellung davon, wie wohl sein stilles Thun dem armen, 
vereinsamten Herzen that. 
„O Mary!" hörte er seine Mama einmal zu der alten 
Dienerin sagen, „ich bin überzeugt, er will nur auf seine 
Weise helfen und nrich trösten. Zuweilen sieht er mich an 
mit großen, verwunderten Augen voll tiefster Liebe, als ob 
ich ihm im Innersten leid thäte, und dann kommt er und 
streichelt mich oder zeigt mir etwas. Er ist so merkwürdig 
reif; ich bin überzeugt, er denkt so weit." 
Als er heranwuchs, hatte er eine Menge wunderlicher 
Einfälle, die höchst ergötzlich waren, und wußte seine Mama 
so gut zu unterhalten, daß sie gar nicht nach andrer Gesell 
schaft verlangte; sie gingen miteinander spazieren und schwatzten 
und spielten zusammen. Er war noch ein ganz kleiner Bursche, 
als er lesen lernte, und hernach lag er abends aus dem Teppich 
vor dem Kamin und las vor — Kindergeschichtcn, zuweilen 
auch große Bücher, wie erwachsene Leute sie lesen, und hier und 
da sogar die Zeitung, und dabei hörte Mary in ihrer Küche 
Mrs. Errol manchmal hell auflachen über seine wunderlichen 
Bemerkungen: „Und, meiner Seel'," sagte Mary zu dem 
Spezereihändler, „so verstockt könnte keiner sein, daß er nicht 
lachen müßte über rmsern Jungen, wenn er so altklug schwatzt. 
In der Nacht, wo der neue Präsident ernannt worden ist, 
kommt der Jung' zu mir in die Küch', stellt sich vors Feuer, 
die Händchen in den kleinen Taschen, wie ein Bild, sag' ich 
Ihnen, und mit so einer feierlichen Mien' wie ein Richter 
im Talar. Und dann sagt er zu mir: .Mary/ sagt er, ,die
	        
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