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Das war wirklich alles sehr seltsam, allein er wußte ja
ganz gewiß, daß seine Mama ihm alles erklären würde, und
so ließ er Mary ungestört ihren Gedanken nachhängen. Als
er umgekleidet war, lies er die Treppe hinunter und gerades
wegs inS Wohnzimmer. Ein großer, magerer alter Herr mit
einem scharfgeschnittenen Gesichte saß im Lehnstuhl, seine Mama
stand daneben, sie war sehr blaß, und er bemerkte auf den
ersten Blick, daß sie Thränen in den Augen hatte.
„O Ceddie!" rief sie, ihrem kleinen Jungen entgegen
eilend und ihn scheu und erregt ans Herz drückend. „Ceddie,
mein Herzenskind!"
Der große alte Herr stand auf und sah den Knaben
scharf an, wobei er sein spitzes Kinn mit der fleischlosen Hand
rieb. Der Eindruck schien ihn übrigens zu befriedigen.
„So so," sprach er langsam, „das ist also der kleine
Lord Fauntleroy."
Zweites Kapitel.
C e ä r i st 8 I r e u n tl e.
In der Woche, die nun folgte, gab es wohl keinen er
staunteren und verblüffteren kleinen Jungen als Cedrik; die
ganze Woche war aber auch höchst seltsam und unwahrscheinlich.
Erstens einmal war die Geschichte, die seine Mama ihm er
zählte, eine ganz wunderliche, und er mußte sie zwei- oder
dreimal hören, bis er sie verstand, was aber Mr. Hobbs
davon halten würde, darüber war er sich auch dann noch nicht
klar. Die Geschichte fing mit Grafen an, sein Großvater,
den er nie gesehen hatte, war ein solcher, und sein ältester
Onkel wäre dann später ein Graf geworden, wenn er nicht
durch einen Sturz vom Pferde getötet worden wäre, nach
seinem Tode hätte dann sein zweiter Onkel Graf werden
sollen, der war aber in Rom ganz plötzlich am Fieber ge
storben. Nun wäre es schließlich an seinem eignen Papa
gewesen, den Titel zu bekommen, da aber alle tot waren und
niemand übrig, kam es zu guter Letzt darauf hinaus, daß er
nach seines Großvaters Tode der Graf und Erbe werden
würde - und jetzt für den Augenblick war er Lord Fauntleroy.