Full text: Der kleine Lord

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fein mürben, und es bangte ihm vor der Begegnung; er mar 
stolz auf das vornehme alte Haus, dessen Angelegenheiten 
so lange schon die seinigen waren, und es hätte ihn im In 
nersten peinlich berührt, wenn er mit einer niedrig denkenden, 
geldgierigen Frau zu thun bekommen hätte, die für ihres ver 
storbenen Mannes Stellung und Ehre kein Gefühl gehabt. 
Handelte es sich doch um einen alten Namen und um einen 
glänzenden, für den Mr. Havisham sich trotz aller Kühle und 
geschästsmäunischen Nüchternheit einer gewissen Ehrfurcht nicht 
erwehren konnte. 
Als Mary ihn in den kleinen Salon geführt hatte, warf 
er einen kritischen Blick um sich. Die Einrichtung war ein 
fach, aber wohnlich: nirgends waren geschmacklofe, billige 
Spielereien oder Farbendrucke an den Wänden: der wenige 
Wandschmuck war durchaus künstlerischer Art und eine Menge 
hübscher Kleinigkeiten, die von weiblicher Hand herrührten, 
machten den Raum behaglich. 
„So weit nicht übel," sagte der alte Hern zu sich selbst, 
„da hat aber wohl des Kapitäns Geschmack den Ausfchlag 
gegeben." Als jedoch Mrs. Errol ins Zimmer trat, konnte 
er nicht umhin, zu denken, daß möglicherweise auch der 
ihrige maßgehend gewesen sein könnte. Wäre er nicht ein 
gar so steifer, zurückhaltender Geschäftsmann gewesen, so 
würde er vermutlich seine Ueberraschung bei ihrem Anblick 
nicht verborgen haben-, sie sah in dem schlichten schwarzen 
Gewände, das sich eng um ihre zarte Gestalt schmiegte, weit 
eher wie ein junges Mädchen, als wie die Mutter eines sie 
benjährigen Jungen aus; ihr Gesichtchen war hübsch, und in 
den großen braunen Augen lag ein Blick voll Unschuld und 
Innigkeit, dabei aber auch von unsäglicher Traurigkeit, die 
nicht mehr von ihr gewichen war, seit sie ihren Mann ver 
loren. Cedrik hatte sich ganz an die traurigen Augen ge 
wöhnt, und zuweilen fah er sie doch auch fröhlich auf 
leuchten, das war aber nur, wenn er mit ihr spielte oder 
plauderte oder irgend etwas Altkluges sagte oder eins von 
den langen Fremdwörtern gebrauchte, die er bei Mr. Hobbs 
oder aus der Zeitung aufschnappte. Er gebrauchte gern so 
lange Wörter und er freute sich auch, wenn seine Mama dar 
über lachte, obwohl er nicht begriff, was sie daran komisch 
fand, denn ihm war es voller Ernst damit. Der Anwalt 
hatte in seiner langen Praxis Gesichter vom Blatt lesen ge 
lernt und wußte auf den ersten Blick, daß er und der Graf
	        
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