Full text: Die Theodicee. (4)

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Vorrede. 
Formeln überladen worden. Sehr oft waren diese Cere- 
monien nicht dazu angethan, um die Uebung der Tugend 
zu stützen; und die Formeln waren oft nicht klar und 
verständlich. Sollte man es glauben, die Christen haben 
gemeint gottergeben sein zu können, ohne doch ihren 
Nächsten zu lieben, und fromm, ohne Gott zu lieben. 
Ja man hat wohl auch gemeint, seinen Nächsten lieben 
zu können, ohne ihm nützlich zu sein und Gott zu 
lieben, ohne ihn zu kennen. Mehrere Jahrhunderte sind 
verflossen, ohne dass die öffentliche Meinung diesen 
Mangel bemerkt hat und noch sind grosse Ueberreste 
von dem Reiche der Finsterniss vorhanden. Man hört 
oft Leute, die selbst mit dem Unterricht zu tliun haben, 
viel von der Frömmigkeit, von der Hingebung, von der 
Religion sprechen, aber man findet sie sehr wenig von 
den göttlichen Vollkommenheiten unterrichtet. Sie haben 
falsche Vorstellungen von der Güte und Gerechtigkeit 
des Herrn der Welt; sie bilden sich einen Gott, der 
weder der Liebe, noch der Nachahmung werth ist. 
Dergleichen ist nach meiner Meinung mit gefährlichen 
Folgen verknüpft, weil es von ausserordentlicher Wichtig 
keit ist, dass die unmittelbare Quelle der Frömmigkeit 
nicht verunreinigt werde. Die alten Irrtliümer derer, 
welche die Gottheit angeklagt und einen schlechten 
Herrscher aus ihr gemacht haben, sind in unsern Tagen 
mitunter wieder hervorgesucht worden; man beruft sich 
auf die unwiderstehliche Macht Gottes, während man 
vielmehr seine erhabene Güte hätte darlegen sollen; man 
hat eine despotische Gewalt dahingestellt, wo man sie 
als eine von der höchsten Weisheit geleitete Macht hätte 
begreifen sollen. Diese Ansichten °), die so grosses 
Unheil stiften können, werden, so viel ich bemerkt habe, 
vorzüglich auf die verworrenen Begriffe gestützt, welche 
man sich von der Freiheit, NothWendigkeit und dem 
Schicksal gebildet hat, und ich habe mehr als einmal, 
wo die Gelegenheit sich dazu bot, zur Feder gegriffen, 
um diese wichtigen Begriffe deutlicher zu machen. Indess 
habe ich zuletzt mich genöthigt gesehen, meine Gedanken 
über all diese, mit einander verknüpften Dinge zu 
sammeln und dem Publikum mitzutkeilen. Dies ist in 
den Abhandlungen geschehen, welche ich hier dem 
Publikum übergebe und welche über die Güte Gottes,
	        
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